Mai 2001
Linear weitergerechnet ist irgendwann Schluss
Interview mit Klaus Lederer
(stellvertr. Bezirksvorsitzender der PDS - Pankow, Prenzlauer Berg, Weißensee)
Klaus, warum hast Du als stellvertretender Bezirksvorsitzender der PDS des neuen Bezirk Pankow-Prenzlauer Berg-Weißensee kandidiert?
Meine
Kandidatur war eher ein Zufall. Von 1995 bis 1999 war ich Bezirksverordneter in
Prenzlauer Berg. In dieser Zeit habe ich insbesondere in den Bereichen
Jugendpolitik und Haushaltspolitik gearbeitet (weil Jugendarbeit Geld kostet).
Ausgestiegen bin ich ganz bewusst. Die PDS hat ein Strukturproblem: Drei
Viertel der Mitglieder sind über sechzig. Linear fortgerechnet ist in zehn oder
fünfzehn Jahren der Ofen aus. Deshalb habe ich für dieses Amt in der PDS
kandidiert. Mein Ziel ist das Überleben der PDS. Um den Begriff Sozialismus neu
zu untersetzen. Dazu gehört für mich die Politisierung der Gesellschaft und das
Zurückdrängen egoistischer Motivation als Grundziel menschlichen Strebens.
Derzeit ist viel von einer Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin die Rede. Gregor Gysi wird als neuer Regierender Bürgermeister gehandelt. Im neuen Bezirk Pankow- Prenzlauer Berg-Weißensee ist die PDS eine Zählgemeinschaft mit der SPD eingegangen. Was hältst Du von einer neuen Rolle der PDS?
Die
Berliner PDS hat derzeit ein Problem. Jeder neue Tag der großen Koalition
treibt diese Stadt mehr in den Ruin und eigentlich müsste man happy sein, wenn
es endlich vorbei wäre. Aber andererseits: wer erbt schon gerne Miese. In
dieser Stadt zur Zeit die Regierung anzutreten würde vor allem Dreckarbeit
bedeuten. Berlin steht absolut im Haushaltsnotstand. Das bedeutet, dass die
Stadt sich nicht von selbst an den Haaren aus der Kreide ziehen kann, sondern
auf sofortige Bundeshilfe angewiesen ist. Westberlin war in den Mauertagen des
Kalten Krieges hoch bezuschusst. Nach 1989 hat Schwarz-Rot die Kurve nicht
gekriegt und weiter gönnerhaft Geschenke an alles in dieser Stadt verteilt, was
schon Geld hatte. Es folgten die Tage des Pyramiden- und Kathedralenbaus:
Olympiabewerbung, Hauptstadt- und Metropolenwahn. Dies führte in ein schwarzes
Haushaltsloch. Seitdem wurde so ziemlich alles verschenkt oder verscherbelt,
was nicht niet- und nagelfest war. Im Gegenzug wurden die Sozialleistungen
zurückgefahren. Trotzdem wurde die jährliche Haushaltslücke nicht gestopft.
Aber
wer will dieses Erbe antreten? Die PDS hätte wenig Chancen, alternative Politik
umzusetzen. Reformen kosten immer auch etwas. Es ist nicht klar, welches
politische Projekt ein Regierungswechsel unter Beteiligung der PDS eigentlich
sein soll. Und dann habe ich ein anderes Problem. Die SPD steckt im
Erklärungsnotstand. Ich weigere mich so zu tun, als sei es in den letzten
Jahren allein die CDU gewesen, die diese Stadt ruiniert hat. Augenblicklich
fällt mir nicht auf, dass die SPD mit dieser Rolle kritisch umgeht. Was soll
denn dann also passieren? Ein Regierungswechsel unter Ausschluss der CDU ist
kein Wert an sich: nach der Bundestagswahl 1998 hat er direkt in den ersten
Angriffskrieg unter bundesdeutscher Beteiligung geführt.
Diese Ausgabe des RotDorn wird zum 1.Mai erscheinen. Welche Bedeutung hat für Dich der 1. Mai?
Der
erste Mai ist meistens ein klasse Tag. Da kommt dann langsam die Sonne raus und
alle haben frei. Ich bin dann in den letzten Jahren immer auf dem Humannplatz
bei der kollektiven Maiparty. Für mich ist das Humannplatzfest am 1. Mai eine
ganz wichtige Veranstaltung. Es ist schon ein kultureller Akt, wie dieses Fest
organisiert wird. Und der Titel "Widerspenstig und lebendig" hat sehr
viel mit meinen Ansprüchen zu tun.
Das
jährliche Ritual des Wannenschaukelns und Wasserwerferbadens hatte ich schon
Mitte der Neunziger satt. Das erinnert dann nur noch schwach daran, dass es in
der Geschichte Tage gab, Ende des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten,
als am 1. Mai Staatsgewalt an protestierenden Arbeitern ein Blutbad angerichtet
hat. Als scharfes Feuer auf die Menge eröffnet wurde. Die Nazis haben diesen
Tag dann zur Feier des Arbeitskultes erhoben. Das ist so ziemlich die
widerwärtigste Verdrehung eines Feiertages.
Machst
Du Politik, um eine grundsätzlich andere Gesellschaft zu erreichen?
Ich hab das ja vorhin schon versucht deutlich zu machen. Wenn die PDS so weiter macht wie bisher, hat sie das selbe Problem wie unsere gegenwärtige Welt. Wir können insgesamt nicht so weiter machen wie bisher. Dann sterben wir auch alle aus. Ich halte es für Aberglauben, dass das Profitstreben multinationaler Konzerne sich für eine nachhaltige Weltwirtschaft und eine solidarische und soziale kulturell reiche Welt langfristig furchtbar machen lässt. Die Frage nach einer anderen Gesellschaft ist also genauso aktuell wie die Frage nach einer anderen PDS. Ich halte es für vernünftig, gleich beides miteinander zu verbinden.
Die
Frage nach einer anderen Gesellschaft ist ja derzeit nicht mehr die Frage nach
Revolution morgen früh an der Weltzeituhr auf dem Alex. Es genügt, sich den
Laden anzusehen wie er ist. Da gilt für den organisierten Kapitalismus des
21. Jahrhunderts (genauso wie für die PDS): Linear weitergerechnet ist irgendwann
Schluss. Also bleibt einem heute gar nichts anderes übrig, als für eine
andere, solidarische Welt und eine neue Organisation der Gesellschaft
einzutreten.
Vielen
Dank für das Gespräch und alles Gute zur Erreichung Deiner Ziele!
Das
Gespräch führte sk
Porträt
Ich
bin 27 Jahre alt, 187 cm groß, 70 kg schwer, kurze dunkle Haare und blaue
Augen. Abi, Studium (Jura), dann Zivildienst in der Betreuung von Menschen mit
viel Lebenserfahrung. Jetzt bin ich Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Promotionsstudent.
Politisches Interesse ist schon ziemlich lange vorhanden, hat sich aber erst
seit der Wendezeit voll entfaltet. Seit eineinhalb Jahren lebe ich mit meinem
Freund zusammen. Ich lese gerne, singe mit Freunden a capella, und würde gerne
mit John Travolta oder Samuel Jackson in Briefwechsel treten, weil sie so schön
"Quarterpounder" sagen können.