Mai 2001

 

 

New Economy: Angestellte fordern Mitbestimmung

 

40 Mitarbeiter mussten gehen, als der Kunde eines Friedrichshainer Callcenters kurz vor Weihnachten seinen Großauftrag plötzlich reduzierte. Unter den verbliebenen knapp 200 „Callcenter Agents“ - so die korrekte Bezeichnung der Telefonarbeiter in der New-Economy-Branche - wurde nicht wenigen mulmig zumute. So kamen einige auf die Idee, einen Betriebsrat zu wählen und wandten sich mit der Bitte um Unterstützung an die Industriegewerkschaft Medien. Die teilte der Geschäftsführung das Ansinnen mit.

„Wirklich engagierte und couragierte Mitglieder, die einen Betriebsrat wünschen“, antwortete diese, „sollten auch den Mut haben, hierfür einzustehen.“ Niemand müsse Repressalien befürchten, bloß weil er einen Betriebsrat wählen wolle, versicherte Geschäftsführer Hartmut H.

Daraufhin suchten vier engagiert-couragierte junge Callcenter Agents das Gespräch mit dem Managment. Fünf Minuten später waren sie entlassen. Wenige Tage später folgten zwanzig weitere Mitarbeiter, die sich ebenfalls für einen Betriebsrat ausgesprochen hatten.

In der Callcenter-Branche brodelt es: Galten die Kommunikationsdienstleister noch bis vor kurzem als weitgehend gewerkschafts- und betriebsratsfreie Zone, wird seit einigen Monaten der Ruf von Beschäftigten nach mehr Mitbestimmung lauter. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre boomte die Markt: Arbeiteten 1995 bundesweit etwa 30.000 Menschen in Callcentern, sind es heute fast 200.000.

Doch die Zeiten der 400- bis 500-prozentigen Zuwachsraten sind vorbei. „Der Konkurrenzkampf ist härter geworden und wird heute international geführt. Die Stückpreise je Call sind mächtig unter Dampf“, meint Anne Stahl-Weiß, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Berlin-Brandenburger Callcenter.

Für den einzelnen Mitarbeiter, den „Call Center Agent“ heißt das nicht nur mehr Stress: Sein Job wird auch zunehmend unsicherer.

Organisationsversuche - wie das Branchenprojekt T. I. M. (Telekommunikation, Informationstechnologie und Medien, http://195.185.187.91/dvit/tim/) der ver.di-Gewerkschaften oder die Berliner Initiative www.callcenteroffensive.de - fallen auf fruchtbaren Boden.

Die Rechtslage ist ohnehin eindeutig: In Unternehmen mit mindestens fünf Beschäftigten besteht Rechtsanspruch auf die Wahl eines Betriebsrats - sofern mindestens drei Arbeitnehmer dies wünschen.

Doch rigide Reaktionen seitens der Centermanager, teilweise an der Grenze der Legalität, seien die Regel, berichtet Otmar Dürotin, der für die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Betriebsräte und Betriebsratsinitiativen in Callcentern betreut: „Die denken, die Welt geht unter, wenn ihre Beschäftigten einen Betriebsrat wollen. Dass sich Callcenter-Manager kooperativ verhalten, ist eher die Ausnahme.“ Da würden Belegschaftsversammlungen verhindert, Betriebsratsbefürworter kurzerhand als „Querulanten“ gefeuert. Ein „irrationales Feindbild“ sieht Dürotin am Wirken: „Die tun so, als käme die Gewerkschaft mit roten Fahnen anmarschiert und würde ihre Firma übernehmen.“

In der Tat: „Die Gewerkschaften schicken hier doch linksradikale Studenten als Sturmtruppen vor“, glaubt Geschäftsführer Hartmut H., der nicht vergisst, daraufhin zuweisen, dass er selbst „aus einer linken Tradition“ kommt. H. ist überzeugt: „Die wollen die Callcenter peu à peu plattmachen.“

Alles Unsinn, sagt Dürotin. Tatsächlich zeigten die Erfahrungen mit den „10 - 15 Prozent“ deutscher Callcenter, in denen Betriebsräte existieren, „dass die Unternehmen mit mehr Mitbestimmung nicht schlechter fahren.“

Bestätigt wird der Gewerkschaftsmann von der Callcenter-Managerin Anne Stahl-Weiß, die auf drei Jahre Erfahrung mit einem Betriebsrat im eigenen Hause Viafon zurück blicken kann: „Wenn man als Callcenter-Manager erstmal die psychologische Anfangshürde übersprungen hat, zeigt sich meistens, dass es gar nicht so schwer ist, eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat herzustellen“. Dass für viele Callcenter Betriebsräte und Gewerkschaften ein rotes Tuch sind, sei eben typisch für eine Branche, die es erst seit wenigen Jahren gibt - als Kehrseite der Start-Up-Gründermentalität alles schnell, allein und möglichst „unbürokratisch“ zu entscheiden.

Jetzt hat die Geschäftsführung der Friedrichshainer Firma zwei Dutzend Kündigungsschutzklagen am Hals. Dazu eine Strafanzeige wegen Behinderung einer Betriebsratswahl - mögliche Höchststrafe: ein Jahr Freiheitsentzug.

 

Jörn