Januar 2001

 

 

 

Wie ich mal einen Orgasmus vortäuschte

 

Meine Nachbarskinder waren mir schon lange ein Dorn im Auge. Sie waren häßlich, geistig zurückgeblieben, unhöflich und laut. Am schlimmsten war immer diese Spastenmusik.

Dann kriegten sie einen Computer.

Man könnte meinen, sie hätten nun still ihre Hausaufgaben dort hineingetippt. Aber nein, wer weiß, ob heutzutage überhaupt noch Hausaufgaben aufgegeben werden, vielleicht gibt es ja auch gar keine Schulpflicht mehr, sie spielten den ganzen Tag am Computer.

Aber nicht wie wir damals, Strip-Poker gegen Samantha Fox, auf dem ZX-Spectrum.

Sie spielten Krieg. Sie spielten Krieg und ich hörte zu. Fliegeralarm, Kanonenschläge, Maschinengewehrsalven. Stundenlang.

Ja, wohne ich denn auf dem Balkan, dachte ich. Dann dachte ich, Wenn die Schlibrowskis selber es ablehnen, ihre Kinder zu anständigen Menschen zu erziehen, muß ich es eben tun. Wenn es um die nachwachsende Generation geht, ist die ganze Gesellschaft gefordert.

Ich hatte einen Plan und nannte ihn: Make Love Not War.

In der Videothek an der Ecke besorgte ich mir einen scharfen Film, Junge hemmungslose Nymphomaninnen im Strudel der Wollust. Dazu lieh ich ein Videoabspielgerät.

Ich habe zwar keinen Fernseher, brauchte aber auch keinen. Ich verband den Videorecorder mittels Cinch-Kabel mit meiner Stereoanlage und hievte die Boxen aufs Fensterbrett.

Lautstärke auf volle Pulle und es konnte es losgehen.

Gestöhne, Gebrüll, zotige Dialoge, es klang ziemlich eklig, aber was sein muß muß sein. Ich ließ das Band laufen und nahm erst mal ein Bad.

Irgendwann bemerkte ich, daß an meine Tür gehämmert wurde. Ich drückte auf Pause und eilte in den Korridor, wobei ich rief, so daß man es durch die Wohnungstür hören konnte: „Ich komme gleich wieder und dann nehm´ich Dich richtig ran.“

Vor der Tür, die ich nur einen Spaltbreit öffnete, stand Frau Schlibrowski, um sich zu beschweren. „Ja, kann man denn hier nicht mal in Ruhe ficken, schrie ich, schlug die Tür zu und machte das Video wieder an.“

Ich ließ das Band zweimal durchlaufen. Da ich es schon kannte, wurde mir langweilig und ich sah aus dem Fenster. Ach du Schreck, der Hof war voller Leute. Nachbarn, Suffköppe aus Erikas Stübchen und auch zwei Polizisten. Alle amüsierten sich wie Bolle, zeigten abwechselnd zu meinem Fenster rauf und tranken Büchsenbier. Der Hausmeister grillte Würstchen für 2 Mark, ein Eisverkäufer kam vorbei.

Sie schienen entschlossen, auszuharren, bis sie einen Blick auf die temperamentvollen Energiebündel erhaschen konnten, die freiwillig mit zu und bei mir gekommen waren. Irgendwann mußten sie ja gehen.

Ich brauchte bloß Zeit zu gewinnen. Ich spulte zurück, bis an die Stelle, wo eine ohrenscheinlich blonde Frau lüstern lechzte: „Los mein Hengst, mach es mir noch einmal“, und eine dem Klang nach brünette einfiel: „Ja besorg es mir noch einmal so richtig!“ Eine Asiatin quietschte vergnügt: „Mil auch! Mil auch!“

Aber auch Stunden später mochte der Mob nicht weichen. Mir wurde bewußt, daß man bei Schweinskram bald überfordert ist, wenn man am Anfang zu dick aufträgt. Hoffentlich bekamen die Schlibrowskikinder kein verzerrtes Bild von der menschlichen Sexualität.

Ich ließ einen Sektkorken knallen, und weil ich nur eine Flasche hatte, nahm ich das Geräusch auf Tonband auf. Nun konnte ich es wiederholt verwenden. Um das ganze realistischer zu machen, quietschte ich auf meinen Bettfedern. Hätte ich jetzt einen 2. Videorecorder gehabt, hätte ich immer neue Variationen der heißesten Stellen zusammenscratchen können. Schade eigentlich. Hoffentlich roch niemand da unten Lunte.

Es war bereits dunkel, aber sie schienen unermüdlich. Ich erledigte frustriert meine Biervorräte.

Dann kam sie doch noch, meine Rettung. Ein nächtliches Sommergewitter, das die Schau- oder besser gesagt Horchlustigen auseinanderfegte.

Als ich mich anderntags übermüdet, mit Augenringen und Mundgeruch aus dem Haus schleppte, saßen die ersten Hochleistungstrinker schon wieder vor Erikas Stübchen beim Bier. Manche blinzelten mir anerkennend zu.

Naja, hat´s doch was gebracht, dachte ich.

 

Spider