Januar 2001

 

 

Rot-Grün überholt Bismarck von rechts

Der Anstieg der Altersarmut durch die Riestersche Rentenreform

 

Mit lautstarken arbeitnehmerorientierten Gesten hat die große Oppositionspartei von einst (die Spezialdemokraten) der Jahre 97/98 zur Zeit des Spendenkanzlers die Blümsche Rentenreform zurückgewiesen und den Senioren und denen, die kurz davor stehen, welche zu werden, eine sichere Rente versprochen. Das „Stimmvieh“ hat ihnen dies bei der Bundestagswahl 1998 auch geglaubt und sie zusammen mit den zur Grünen-Punkt-FDP mutierten Bündnisgrünen in den Regierungssattel gehoben. Als Garant einer arbeitnehmerfreundlichen Arbeits- und Sozialpolitik machte diese altrosa-blassgrüne Regierung einen Gewerkschaftsapparatschik zum Bundesminister. Dieser Spezialist für Sozialabbau hat nach mehreren Null-Serien einen rund 300 Seiten umfassenden Gesetzentwurf zur Neustrukturierung der Rente vorgelegt, der weit über das, was der kleine Nobby Blüm so kürzen wollte, hinausgeht und die Unternehmerverbände richtig glücklich macht: Der Genosse der Bosse ist auf dem richtigen Weg, jubeln die Herren Hundt und Henkel. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ulla Schmidt, SPD, verweist orgastisch darauf, dass auch der sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU, der ehemalige Gesundheitsminister Seehofer, diesen Gesetzentwurf für einen Quantensprung in die richtige Richtung hält. Darüber sollte das gesamte Wahlvolk sich freuen und wiederstandslos in die Altersarmut marschieren. Oder sind wir im falschen Film, beim Kabarett, in einer Schmierenkomödie oder bei einer Kandidatenbefragung von „Herzblatt“ mitten im TV Müll?

Fest steht, dass die rund 120 Jahre währende, und vom Eisernen Kanzler Bismarck eingeführte paritätische Finanzierung (je die Hälfte durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber) der Rentenversicherung von dieser Regierung zu Grabe getragen wird. Schon bei der Krankenversicherung hat sich die Kohl-Regierung durch die Zuzahlungen bei Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln und Krankenhausaufenthalten von dem Paritätischen Modell (50% zu 50%) verabschiedet und dem Arbeitnehmer 67% der Finanzierungslasten aufgebürdet.

Mit einer dreisten Selbstverständlichkeit mutet die altrosa/blassgrüne Bundesregierung den Arbeitnehmern, Arbeitslosen und kinderreichen Familien eine obligate private allein arbeitnehmerseits zu finanzierende Altersvorsorge zu und legt damit ein gigantisches Subventionsprogramm für die Versicherungswirtschaft auf. Die „politische Mitte“ stärkt den Casinokapitalismus und die Börsen- und Spekulantengesellschaft auf Kosten der Schwachen im Lande. So wird ein weiterer Verfall der gesetzlichen Altersversicherung vorprogrammiert. Im Mittelpunkt der Regierungspolitik steht nicht eine gerechte und solidarische Altersvorsorge der Generationen, sondern einzig und allein die Senkung der Lohnnebenkosten im Interesse des Kapitals.

Aber ist die Krise der Versicherungssysteme nicht mit Händen zu greifen und sind einschneidende staatliche Lenkungsmaßnahmen nicht längst überfällig?

Dies kann jeder Sozialpolitiker nur bejahen. Es bleibt nur zu fragen, auf welch ein Ziel hin reformiert werden soll?

Steht der Mensch oder das Kapital im Vordergrund von politischen Abwägungen. Will der Staat seine Bürger vor Altersarmut absichern, den Inhalt der Rentenkassen gerecht verteilen und die junge Generation dennoch nicht übermäßig belasten sowie für die Schwachen in der Gesellschaft solidarische Strukturen etablieren, die vor allem Frauen, alte, kranke und behinderte Menschen nicht an den Rand der Wohlstandsgesellschaft verweisen?

Wäre es nicht vorstellbar, die Einnahmenseite der Rentenversicherung zu vergrößern, anstatt nur auf die Begrenzung der Ausgaben, nämlich eine Rentenkürzung zu schielen. Eine allgemeine Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung oder mindestens eine drastische Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen wäre innerhalb des deutschen Rentensystems möglich. Beispielsweise zahlt im „sozialistischen System“ der Schweiz jeder Bürger knapp 11% seines Jahreseinkommens, ob aus Erwerbsarbeit, aus Mieteinnahmen oder gar aus Börsenspekulationen stammend, in die Schweizer Rentenversicherung ein.

Wäre es nicht vorstellbar, die Bemessungsgrundlage der Arbeitgeberanteile an der Rentenversicherung von der ausgeschütteten Lohnsumme auf die betriebliche Bruttowertschöpfung umzustellen. Eine solche Wertschöpfungsabgabe beteiligte die Unternehmen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an den Kosten der Alterssicherung.

            Wäre nicht vorstellbar, die Rentenberechnung, die immer noch auf der Basis der ungebrochenen Erwerbsbiographie von 45 Arbeitsjahren beruht und nur dann, wenn diese Jahre erfüllt sind, auch nach der Riesterreform 64% des Nettoverdienstes als Rente auszahlen, auf eine realistische Grundlage zu stellen, die im Zeitalter der Massenerwerbslosigkeit nur noch von „unterbrochenen“ Erwerbsbiographien ausgehen kann und deshalb von den 45 Jahren als Berechnungsgrundlage abrücken muss, will sie nicht Renten unterhalb der Sozialhilfe ausschütten.

Wäre nicht vorstellbar, die Rente nach unten zu sockeln, um Altersarmut zu vermeiden, die Kommunen von Sozialhilfezahlungen zu entlasten und sozialpolitisch endlich einen Einstieg in die soziale Grundsicherung für alle Einkommensschwachen in der Gesellschaft zu erreichen. Gleichzeitig müsste der Gesetzgeber, wenn er auch die Wohlhabenden und Reichen dieser Gesellschaft zu Beitragszahlungen verpflichtete, nach oben die Rente deckeln, um nicht unverhältnismäßig hohe Leistungen auszahlen zu müssen. Auch eine solche Deckelung der Altersrente gibt es in der ach so Sozialismus verdächtigen Schweiz.

Einige dieser Überlegungen haben die jetzigen Regierungsparteien selbst zu Oppositionszeiten propagiert, andere haben in der zweiten Dezemberwoche Experten der Rentenversicherer, der Sozialverbände und Gewerkschaften während einer Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Sozialordnung vorgetragen. Der anscheinend allwissende Bundesminister Riester, der das Reformchaos zu verantworten hat, weilte jedoch in diesen Tagen bei den Kängeruhs in Australien. Vielleicht der rechte Ort für einen Beutelschneider!

 

Klaus Körner