September 2000

 

 

Lieber Kriegsverbrecher als Deserteur

 

Spätestens seit zwei Jahren benutzt die Bundeswehr den 20. Juli, dem offiziellen Gedenktag des deutschen Widerstandes, zur Demonstration ihres erstarkenden Selbstbewußtseins durch sogenannte öffentliche Gelöbnisse. Außerdem versucht sie wenigstens nach außen hin den Anschein zu wecken, die Bundeswehr und ihre Staatsbürger in Uniform wären ein Pfeiler der Demokratie und zum kritischen Denken in der Lage. Geschickt wurde auch in diesem Jahr bei der Veranstaltung in Berlin vom Verteidigungsministerium die Brücke geschlagen von der Palastrevolte einiger Militärs und ihres zivilen Umfeldes zum Gelöbnis junger Rekruten des Wachbataillions Berlin auf dem Parkplatz am Bendlerblock. Die Wehrpflichtigen wurden in diesem vordemokratischen Ritual  auf die soldatischen „Tugenden“ Pflicht und Gehorsam eingeschworen.

Verteidigungsminister Scharping will durch die Verknüpfung des Gelöbnis mit dem Gedenktag eine Verengung der öffentlichen Wahrnehmung des sogenannten deutschen Widerstandes ausschließlich auf den kleinen militärischen Teil erreichen. Gleichzeitig soll das symbolische Gedenken durch das militärische Brimborium überlagert und verdrängt werden. Mit einer neuen Gelöbnistradition soll die Öffentlichkeit darauf eingeschworen werden, mit den jungen Rekruten nach vorne auf die zukünftigen Interventionen zu schauen - nicht in den Abgrund des vergangenen Weltkrieges.

Die Reinwaschung hunderttausender Mörder der Wehrmacht und Stützen des Nationalsozialismus durch eine kleine Bombe im Aktenkoffer eignet sich hervorragend zur Veranschaulichung des Traditionsverständnisses der Bundeswehr.

Ein wesentlicher Teil dieser Männer des „nationalen“ oder „deutschen Widerstands“ waren Wehrmachtsoffiziere, denen es u.a. darum ging, die bereits 1944 als unvermeidlich angesehene bedingungslose Kapitulation doch noch abzuwenden. Bis dahin hat diese militärische Opposition in großer Nähe zur politischen Macht im NS-Staat den Vernichtungskrieg der Wehrmacht aktiv mitgetragen. Zum Beispiel Generaloberst Erich Hoepner. Er wird ab 1938 zur innermilitärischen Opposition gerechnet. Noch 1941 bezeichnete er den Krieg gegen die Sowjetunion als „Verteidigung europäischer Kultur gegen moskowitisch-asiatische Überschwemmung“ und als „Abwehr des jüdischen Bolschewismus“. Der Krieg müsse „zur erbarmungslosen, völligen Vernichtung des Feindes“ führen. Hoepner hat als Befehlshaber der Panzergruppe 4 der Heeresgruppe Nord auch die Terrorisierung der Zivilbevölkerung mitgetragen, u.a. durch die Verbrennung von Dörfern und Erschießung der Einwohner. Bundesregierung und Bundeswehr beziehen sich ausdrücklich auf die gescheiterten Verschwörer, um im Rückgriff auf die Idee eines „Besseren Deutschland“ diejenige einer „besseren Wehrmacht“ zu propagieren – aber diese hat es nie gegeben. Gegeben hat es dagegen die individuelle Entscheidung von mehreren zehntausenden Menschen zu desertieren, um nicht mitschuldig an den Verbrechen zu werden. Sie hatten den Mut, die Truppe zu verlassen, im Bewußtsein der möglichen Konsequenzen ihres Handelns. Gegen 46.000 der Deserteure wurden Todesurteile verhängt, davon mehr als 20.000 vollstreckt. Eine entsprechende Berücksichtigung beim Gedenken an den Widerstand haben sie bislang nicht erfahren. Nur mit Mühe konnte sich die Bundesregierung 1998 - 53 Jahre nach Kriegsende - dazu durchringen, ein Gesetz zur Aufhebung der NS-Unrechtsurteile zu verabschieden und Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern die Rehabilitierung zu ermöglichen. Allerdings gab es keine pauschale Rehabilitierung und Entschädigung für diese Menschen. Nach wie vor müssen die überlebenden Deserteure sich einer entwürdigenden Einzelfallprüfung unterziehen, um rehabilitiert zu werden. Die Bundeswehr, als staatliche Institution mit eigenem Gesetz und eigenem Geschichtsverständnis, würdigt den militärischen Widerstand auf die einzige ihnen mögliche Art: mit einem Ritual, indem der Soldat seine Individualität zugunsten des militärischen Gehorsams aufgibt und sich bereit erklärt, auf Befehl zu töten. Damit verbietet sich für die Bundeswehr eine Berücksichtigung von Deserteuren: Lieber Kriegsverbrecher als Deserteur.

Am 20.7.00 hat die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienst und Militär zusammen mit dem Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann einen Kranz für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand niedergelegt. Durch ihre individuelle Entscheidung, Gefolgschaft und Gehorsam zu verweigern, stellten sich die Deserteure der Kriegsmaschinerie grundsätzlich entgegen.

Die Ausklammerung der Deserteure als „Vaterlandsverräter“ von jedem positiven Gedenken bereitet den Boden für Gesetze, die schon die Aufforderung, aus Armeen zu desertieren, als Straftat anführen. Am 1. August mußte sich ein Vertreter der Kampagne wegen eines Plakats vor dem Landgericht Berlin verantworten, auf dem die Soldaten der kriegführenden Staaten beim NATO-Angriff auf Jugoslawien aufgefordert wurden, sich aus ihren Armeen zu entfernen - angesichts der Völkerrechtswidrigkeit des NATO-Angriffs eigentlich die oberste Pflicht des Staatsbürgers in Uniform.

Hat die Bundeswehr nichts aus der Geschichte gelernt? Vielleicht, dass die Wehrmacht ohne Deserteure den zweiten Weltkrieg gewonnen hätte, und damit dem Nationalsozialismus zum „Endsieg“ verholfen hätte? Auf diese Tradition kann man bauen.

 

Christopher Steinmetz

 

 

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