September
1999
Immer schick angezogen
und trotzdem blamiert bis auf die Knochen
Ein Jahr rot-grüne
Bundesregierung - die Fortsetzung der
Kohl-Ära mit
anderen Mitteln
Seit nunmehr einem Jahr regieren in Deutschland Sozialdemokraten und Grüne. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik führt damit eine Koalition zweier Parteien, die sich politisch links der Mitte einordnen. Beide Parteien waren nach 16 Jahren christdemokratisch-liberaler Regierungszeit mit dem Ziel eines "Politikwechsels" angetreten und hatten einen deutlichen Sieg davon getragen. Trotz beschwichtigender Äußerungen von Kanzlerkandidat Gerhard Schröder an das Unternehmerlager versprachen die Programme beider Parteien einen Bruch mit der unsozialen Politik der Kohl-Regierung. Während sich die Unternehmergewinne und Einkünfte aus Kapitalvermögen die 80er und 90er Jahre hindurch im Steilflug befanden, wuchsen die Reallöhne und unteren Einkommen nur minimal und haben seit Beginn der 90er sogar wieder eine sinkende Tendenz. SPD und Grüne versprachen eine Trendwende: Dafür wurden sie gewählt.
Doch
nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat eine
Bundesregierung ihre eigene Geschäftsgrundlage so schnell und gründlich
verlassen wie diese Regierung. Am drastischsten wurde uns dies mit der
Beteiligung an der NATO-Intervention gegen Jugoslawien vor Augen geführt: Kein
Bundeswehreinsatz ohne UN-Mandat hieß in der Koalitionsvereinbarung.
Doch
um ihre "Bündnistreue" zu beweisen, setzten sich beide Parteien mit
fadenscheinigen Argumenten darüber hinweg. Noch dreister als ihre schwarz-gelbe
Vorgängerregierung setzt die rot-grüne Koalition eine einseitig an den
Interessen des Kapitals
ausgerichtete
Politik fort. Gerechtfertigt wird dies mit dem von der Kohl-Regierung
hinterlassenen Schuldenberg. Doch das Argument hinkt: Selbstverständlich ist es
die Pflicht einer linken Regierung, eine ausgeglichene Finanzierung des
Staatshaushaltes anzustreben. Doch warum sollen nur die unteren und mittleren
Einkommensgruppen die Zeche
bezahlen
- während jene Gesellschaftsklassen, die seit zwei Jahrzehnten ihre Gewinne und
Vermögen Jahr um Jahr steigern konnten, weiterhin mit Steuergeschenken,
Subventionen und Zuwendungen belohnt werden? Anfang der 80er konnte die
konservative Troika von Maggie Thatcher, Ronald Reagan und Helmut Kohl dem Neoliberalismus
zum politischen Durchbruch auf Weltebene verhelfen. "Wir müssen die
Millionäre bei guter Laune halten" - das ist die letzte Weisheit dieser
Ideologie. Doch konnten die Hardliner
in der Kohl-Regierung einen Großteil ihrer Pläne nicht oder nur teilweise
durchsetzten. Dagegen stand immer noch das Oppositionslager mit SPD und
Gewerkschaften, der Arbeitnehmerflügel in der CDU und auch die Kirchen (gegen
die eine christliche Partei nur mit Vorsicht regieren kann). Unter der
rot-grünen Regierung ist die Situation anders: Zwar muss die SPD Rücksicht auf
die Gewerkschaften nehmen, doch ist der Widerstand aus dieser Ecke bislang noch
verhalten: Zu eng ist der Gewerkschaftsapparat mit dem Parteiapparat der SPD
verflochten. Wesentlich problematischer ist für die Sozialdemokratie momentan,
dass ihr die Wähler davonlaufen. Gewinner sind CDU, extreme
Rechte
und PDS - eine widersprüchliche Situation.
Es
ist weder wahrscheinlich noch wünschenswert, dass sich SPD und Grüne noch
einmal erholen. Manche mögen es für hip und trendy halten, seine Ansichten alle
paar Wochen zu ändern. Wir denken: Wer sich noch nicht mal selber ernstnimmt,
der will gar nicht ernstgenommen werden. Wir wünschen gute Reise.
Euer Ernie