September 1999

 

 

Öffentliche Austrittserklärung

vom Mai '99

 

Im November 1989 wurde ich in der damaligen SDP aktiv, der ersten Oppositionspartei in der DDR. Da ich damals, erst 16 Jahre alt, noch nicht Parteimitglied werden konnte, engagierte ich mich für die Gründung einer Jugendorganisation der SDP. So war ich am 4.Februar 1990 Gründungsmitglied der Jungen Sozialdemokraten in der DDR und wurde zum Ostberliner Vorsitzenden gewählt. 1991 wurde ich Mitglied des Gesamtberliner Juso-Vorstandes und im selben Jahr, nunmehr 18 Jahre alt, Mitglied der SPD. Seit 1995 bin ich Mitglied der SPD-Fraktion in der Pankower BVV.

Meine Mitgliedschaft in der SPD und mein aktives Handeln für die SPD begründete sich durch die Überzeugung, die Ideale Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Solidarität in realer Politik mit der SPD umsetzen zu können. So wie es viele meiner Genossen taten, glaubte auch ich, daß mit einem rot-grünen Reformprojekt ein progressiver, sozialer und ökologischer Umbau der Gesellschaft beginnen würde. Die Notwendigkeit für einen solchen Richtungswechsel ergab sich für mich aus den sozialen und ökologischen Mißständen in Deutschland, an denen sich bis heute nichts geändert hat und mit dieser neuen Regierung auch nichts ändern wird.

Am 27.September 1998 sah ich mich am Ende eines langen Kampfes gegen die Kohl-Regierung. Im Freundeskreis stieß ich auf ein besseres Deutschland an. Natürlich war ich nicht so blauäugig zu glauben, daß von heute auf morgen alle Probleme unseres Landes gelöst werden. Aber ich ging natürlich davon aus, daß der Weg in die Zukunft nun wenigstens die richtige Richtung bekommen hat. Deshalb hatte ich mich ja schließlich seit 1990 für eine rot-grüne Regierung eingesetzt und aktiv etwas für einen Politikwechsel getan. Davon, daß die Regierung einen guten Weg eingeschlagen hat, kann heute aber nicht die Rede sein.

Spätestens als Oskar Lafontaine von allen Partei- und Staatsämtern zurücktrat, stellte ich mir die Frage, wer in diesem Land eigentlich regiert. Das Herz schlägt zwar nicht an der Börse, aber offensichtlich werden dort die Entscheidungen gefällt. Zumindest ist nunmehr klar, daß die rot-grüne Koalition kein Gesetz erlassen wird, wenn nicht zuvor die Vertreter der Industrie ihr Einverständnis signalisiert haben. Wenn man der Industrie aber ein Vetorecht bei politischen Entscheidungen gibt, ist linke, fortschrittliche Politik, die sich an Bürgerinteressen orientiert, nicht möglich. Die Diskussion über ein neues Steuerrecht und einen Atomausstieg haben dies schon in den ersten Monaten der rot-grünen Koalition gezeigt.

Abgesehen davon sind Schritte für einen sozialen und ökologischen Umbau für die Regierenden mittlerweile selbst nicht (mehr) der Maßstab für ihre Politik. Alleiniger Maßstab von Politik, sei es im Berliner Senat oder in der Bundesregierung, ist der persönliche Machterhalt für die Regierenden geworden. Eine gute Figur machen, sei es in Nobelanzügen oder durch eine Sich-Aufspielen-Können-Pseudo-Rhetorik, das ist es, was wichtig ist. Nicht Ideale oder Visionen. Sie sind aber meine Motivation für politisches Handeln. Deshalb möchte ich mich auch nicht länger von meinem eigenen Vorsitzenden verhöhnen lassen, wenn er gönnerhaft feststellt: ”Die SPD soll eine Partei bleiben, die sich die Welt besser wünscht, als sie ist.” Von dem Willen zur Veränderung und von der Einsicht in die eigene Verantwortung und v.a. in die Notwendigkeit einer Veränderung der Welt ist nichts geblieben.

 

Als ich meinen Austritt einigen Genossen ankündigte, sagten sie zu mir, die wenigen Linken müßten in der SPD bleiben, um das Schlimmste zu verhindern. Auch ich habe trotz mehrfachen wirklichen Austrittsgründen (z.B. der sogenannte Asylkompromiß, der große Lauschangrif usw.) mich bisher v.a. mit dieser Begründung gegen einen Austritt gewandt.

Aber:

1. Mittlerweile gibt es nichts zu verhindern, was noch schlimmer sein könnte, als daß man den eigenen Parteivorsitzenden und das einzige Regierungsmitglied mit Idealen, Oskar Lafontaine, aus dem Amt ekelt und ihm mehrfach in den Rücken fällt und im selben Monat die Verantwortung dafür übernimmt, das unschuldige Menschen durch deutsche Bomben ermordet werden. Das dies nicht verhindert wurde, ist eine der größten Niederlagen der SPD-Linken und der gesamten deutschen Linken überhaupt.

2. Wo der alte Tanker SPD hingesteuert wird und wie die SPD des 21.Jahrhunderts aussehen wird, kann man heute schon erahnen. Bodo Hombach faßte im März 1999 Kernpunkte einer sozialdemokratischen Programmatik für das 21.Jahrhundert folgendermaßen zusammen: Mehr Eigenverantwortung für den Bürger, weniger soziale Absicherung und eine radikale Vereinfachung des Steuersystems. Spätestens seitdem der Genosse der Bosse Vorsitzender der SPD ist, ist der Richtungswechsel von einer sozialen Partei zu einer Partei des Neoliberalismus vollzogen. Und es glaubt wohl keiner, daß sich dieser Wandel der SPD in den nächsten Jahren rückgängig machen läßt.

3.         Wenn es wichtiger ist, was die Vertreter der Industrie sagen, als das, was die eigene Partei fordert und was gesellschaftlich notwendig ist, gibt es keine innerparteiliche Demokratie und damit keine reale Möglichkeit der Einflußnahme durch jedes einzelne Parteimitglied. Und apropos innerparteiliche Demokratie: Einmal auf einem genehmen Staatspöstchen ist es den Regierenden der SPD sowieso egal, was die eigene Basis beschließt. Den Satz “Ich werde das nicht umsetzen, wenn ihr das beschließt” (Joschka Fischer) hätte jedes beliebige Regierungsmitglied zu jedem Parteitagsbeschluß sagen können.

 

Seit dem 24.März 1999 geht wieder Krieg von deutschem Boden aus. Es war für mich ein Schock, wie mit immer zwielichtigeren Argumenten ein Krieg von einer rot-grünen Regierung begründet wurde. Scharping erklärte z.B. noch vor Kriegsbeginn, die Nato müsse zur Not auch “eingreifen” um Flüchtlingsströme zu verhindern. Es war nicht schwer darauf zu kommen, daß Krieg niemals Flüchtlingsströme verhindert, sondern verursacht. Deshalb habe ich mich auch durch solche Sätze persönlich verscheißert gefühlt. Tragischerweise erscheinen Scharpings Worte heute als zynischer Witz.

Schröder erklärte in seiner Fernsehansprache an das deutsche Volk am ersten Kriegstag, es habe keine Alternative für den Beginn des Bombardements gegeben. Milosevic müsse nun zur Unterschrift unter den Rambouilletvertrag gebombt werden. Wochen später, als der Vertragstext veröffentlicht wurde (den Angelika Beer als Verteidigungspolitische Sprecherin der Regierungsgrünen noch nicht einmal las, bevor sie für das Bomben stimmte), erklärte das Mitglied des SPD-Bundesvorstandes, Hermann Scher, kein jugoslawischer Präsident hätte den Vertrag von Rambouillet unterschreiben können, da die Nato-Soldaten völlige Bewegungsfreiheit in ganz Jugoslawien, nicht nur im Kosovo, und eine totale Immunität in ganz Jugoslawien genossen hätten. Dies ist übrigens auch der eigentliche Grund, weshalb die Verhandlungen in Rambouillet scheiterten. Während man einer politischen Lösung für den Kosovo, in Form einer Teilautonomie  immer näher kam, machte die Frage, welche Truppen den Vertragsabschluß überwachen sollten, eine Einigung unmöglich. Die Nato bestand und besteht bis heute darauf, daß es Nato-Truppen sein müssen, die den Kosovo nach einem Friedensabschluß überwachen sollen. Auch Fischer und Scharping wiederholen dies immer wieder. Ist es denn verwunderlich, daß es die jugoslawische Regierung nicht zulassen kann, daß die Nationen, die ihr Land verwüsten und Bürger feige aus der Luft ermorden, ein Teil oder das gesamte Land nach einem Friedensschluß militärisch überwachen und auch zu Friedenszeiten präsent sein sollen. Das sind Bedingungen eines Krieges, der bis zur Kapitulation weitergeführt werden soll und nicht Bedingungen eines “humanitären Einsatzes”.

Dann wurde systematisch ein Feindbild zur Rechtfertigung des Krieges aufgebaut. Mit der fadenscheinigen Begründung, man müsse ein 2.Auschwitz verhindern, wurde weiter gebombt. Mal ganz davon abgesehen, daß Tausende Serben ihr Leben riskierten, um Juden vor todbringenden Deutschen und Auschwitz zu schützen (wenn man schon über Auschwitz im Zusammenhang mit jetzigen Krieg reden muß), so stellt dieses Argument eine unglaubliche Verharmlosung des Faschismus dar, die auch hier in Deutschland nicht ohne Folgen bleiben wird. Als der Ruf nach Beweisen, die natürlich nicht erbracht werden können, immer lauter wurde, fing es den Propagandisten an, unheimlich zu werden. Mittlerweile wird der Vergleich zwischen dem Faschismus und dem heutigen Jugoslawien nicht mehr ganz so plump von verantwortlicher Stelle gemacht. Aber seine Wirkung hat er bereits gehabt.

Jetzt wird sich “um eine Friedenslösung bemüht”.  Derweil wird vorsichtshalber Jugoslawien in Schutt und Asche gelegt und hunderte Bürgerinnen und Bürger Jugoslawiens vom Leben in den Tod befördert. Den wirklichen und einzigen Grund für die deutsche Beteiligung an dem Bombardement trauen sich die Verantwortlichen für den Krieg nicht zu benennen, weil dieser zu unpopulär ist und vor der eigenen Bevölkerung nicht durchzuhalten wäre. Deshalb mußte man mit immer neuen fadenscheinigen Begründungen diesen Krieg rechtfertigen. Der einzige Grund ist nämlich Bündnistreue, Treue zu den USA und fehlender Mut, sich eine eigene Meinung zu leisten.

 

Die Herren Schröder, Scharping und Fischer werden sich noch für den Tod von bisher ca.1500 zivilen Opfern der Bomben und für tausende schwerverletzte, verkrüppelte Menschen zu verantworten haben! Wofür sind sie gestorben? Um den Kosovo-Albanern zu helfen?

1.   Unter den Opfern sind Kosovo-Albaner und Serben.

2. Nicht eine Bombe hat einen Kosovo-Albaner vor der Vertreibung bewahrt oder sonst irgendwie Menschen geholfen!

Was hat man auch zu erreichen geglaubt, als man die OSZE-Beobachter im Kosovo im März 1999 mit Tornado-Bombern austauschte?

 

Zum Schluß möchte ich alle Sozialisten in der SPD und den Grünen zum Austritt aus ihren Parteien auffordern. Alles andere macht keinen Sinn mehr. Es sind nicht mehr unsere Parteien. Und keine Angst, wir werden schon unsere gemeinsame neue Plattform finden. Es sind auch zu viele Wählerinnen und Wähler der Regierungsparteien maßlos enttäuscht, als daß alles einfach so weiterlaufen wird, wie bisher.  Ziehen wir den Schlußstrich unter das Kapitel Rot-Grün!

Ich werde auch ohne SPD-Parteibuch mein politisches Mandat in der Pankower BVV wahrnehmen. Dazu fühle ich mich auch absolut demokratisch legitimiert. Ich möchte bis zum Ende der Legislaturperiode als fraktionsloses Mitglied der BVV die ehemaligen SPD-Wähler vertreten, die von der Sozialdemokratie genauso enttäuscht wurden wie ich.

 

 

Sebastian Körner