Januar 1999

 

 

"ALTERNATIVES 100-TAGE-PROGRAMM"

Für einen grundlegenden Politikwechsel

                                                            

 

Wir brauchen eine Rebellion gegen die analytische Tyrannei des Marktkonzepts und gegen die Lähmung unserer Politik, die aus ihr erwächst.

James K. Galbraith, 1998

 

Die Zukunft Europas hängt in einem hohem Maße vom Gewicht der fortschrittlichen Kräfte in Deutschland ab.

Pierre Bourdieu, 1997

 

Der erste Schritt ist geschafft ...

 

Die Wählerinnen und Wähler haben die Kohl - Ära beendet. Der Machtwechsel ist geschafft. Die Mehrheiten für einen Politikwechsel sind vorhanden.

 

Vor der neuen Bundesregierung liegen gewaltige Herausforderungen. Die Bilanz der Ära Kohl ist verheerend: Rekorde bei Arbeitslosigkeit, Armut und Unternehmenspleiten stehen einer steigenden Reichtumskonzentration bei wenigen Vermögenden, steigenden Aktienkursen und steigenden Exportgewinnen gegenüber. Die nationalen internationalen Ungerechtigkeiten wurden in der Vergangenheit mit einer Disziplinierung nach innen und einer Abschottung nach außen beantwortet. Grundrechte wurden demontiert, Solidarität unterhöhlt, das Ellenbogendenken genährt und die Menschen gegeneinander aufgewiegelt. Die Schwächsten der Gesellschaft wurden zu Sündenböcken für diese verfehlte Politik gestempelt.

 

Diese Zeit ist nun vorbei - die alte Regierung wurde abgewählt, weil die Menschen offensichtlich etwas Neues wollen. Doch was ist das "Neue"? Wird die neue Regierung auch eine andere Politik machen? Oder wird sie uns die alte Politik im neuen Gewand präsentieren?

 

Für eine Politik der zwei Etappen

 

Unsere Antwort lautet: es hängt von uns selber ab. Fortschrittliche Reformen erfordern gesellschaftliche Bewegung. Auch eine rot-grüne Bundesregierung wird neoliberale Züge tragen, wenn kein Druck von unten organisiert wird. Nur das Zusammenspiel von politisch bewußter Wissenschaft, der Kreativität und Kompetenz gesellschaftlicher Bewegungen und einer fortschrittlichen Parlamentsmehrheit kann den Weg für einen sozial gerechten, wirtschaftlich effizienten und demokratisch organisierten Modernisierungspfad eröffnen.

 

Wir setzen auf eine Politik der zwei Etappen. In der ersten Etappe geht es darum, die Lösung der dringendsten Probleme einzuleiten. Die zweite Etappe eröffnet mittelfristige Perspektiven, durch eine Diskussion darüber, wie wir in Zukunft arbeiten und leben wollen.

 

Erste Etappe: die wichtigsten Probleme anpacken !

 

Wir erwarten von der rot-grünen Bundesregierung, daß sie in den ersten 100 Tagen Konzepte für die Lösung der dringendsten Probleme vorlegt und erste Maßnahmen in die Wege leitet. Hierzu gehören:

 

- Schaffung von qualifizierten Arbeitsplätzen für alle Männer und Frauen, insbesondere für Jugendliche sowie die Wiederherstellung sozialer Gerechtigkeit

- offensives Herangehen an die EU-Präsidentschaft für ein  demokratisches Europa

- eine Bildungsreform, die schulische und berufliche Ausbildung nach vorne bringt

- eine zukunftsfähige Energiepolitik, die der Atomenergie ein Ende bereitet und die die Energiewende einleitet

- ein progressives Staatsbürgerschaftsrecht und eine humane Flüchtlingspolitik als ersten Schritt zu einem solidarischen Zusammenleben

 

Diese fünf Felder müssen in Zusammenarbeit mit Menschen aus politisch bewußter Wissenschaft, gesellschaftlicher Bewegungen und einer fortschrittlichen Parlamentsmehrheit formuliert werden. Wir wollen diesen Prozeß anstoßen.

 

Aber mit vielen kleinen Einzelreformen ist es nicht getan. Auch wäre es naiv, den Status Quo aus der Zeit vor der Kohl-Regierung wieder herstellen zu wollen. Denn wir wissen: der Kapitalismus der späten 90er Jahre ist nicht mehr der Kapitalismus der ersten Nachkriegsjahrzehnte. Zu vieles hat sich verändert, als daß die Rezepte von gestern ausreichen würden. Die Internationalisierung der Wirtschaft, der Strukturwandel, die veränderten Ansprüche der Menschen an Arbeit und Leben erfordern von der politischen Linken neue Ideen und neue Konzepte.

 

 

Zweite Etappe: Kreativität und Bewegung !

 

Daher wollen wir eine zweite Etappe der Reformen einleiten. Wenn wir nicht mehr nur Abwehrkämpfe führen müssen, wenn erste Grundlagen der Solidarität rekonstruiert und erfahrbar sind, entsteht neuer Raum für Kreativität und Bewegung.

 

Gegenwärtig erleben wir den Widerspruch zwischen vermehrten fachlichen Kompetenzen und Wissen über zu lösende Probleme auf der einen Seite und einem Mangel an Verständigung und kritischer Diskussion außerhalb der exklusiven politischen Beraterkreise auf der anderen Seite. Diesen Widerspruch müssen wir auflösen.

 

Wir werden die Politik nicht den grauen Technokraten überlassen, die sich als scheinbar über den gesellschaftlichen Interessen schwebende Polit-Manager präsentieren. Und erst recht räumen wir das Feld nicht für die plumpen Demagogen mit ihren einfachen Scheinlösungen.

 

Der vergangene Wahlkampf war ein warnendes Beispiel dafür, welche Entwicklung unsere Demokratie zu nehmen droht. Wo Meinungsumfragen an die Stelle der politischen Überzeugung treten und Show-Effekte die politische Auseinandersetzung ersetzen, dort wird die Demokratie auf die Zuschauertribüne gesetzt und der politische Souverän zum Konsumenten degradiert.

 

Wir verstehen unsere Initiative daher vor allem als Anstoß für gesellschaftliche Bewegung. Wir fordern dazu auf, jenseits von fachlichen und organisatorischen Grenzen eine übergreifende Diskussion über unsere gemeinsame Zukunft zu führen. Gewerkschafter und die Unternehmer, die sich an einer gesellschaftspolitischen Debatte beteiligen wollen, Arbeitslose und Beschäftigte, Wissenschaftler und Künstler, Jugendliche und Rentner, Männer und Frauen - alle sollen ihre Erfahrungen und Wünsche in einen solchen Prozeß einbringen.

                      

 

Politik der Erneuerung statt Stückwerk

 

Der Handlungsbedarf ist riesig. Eine neue Gesellschaft kann nicht am Reißbrett entwickelt und "beschlossen" werden. Die wirtschaftlichen Veränderungen und die politischen Reformen schaffen ständig neue Realitäten. Diese stellen neue Anforderungen an die Politik. Was wir aber brauchen, sind Leitbilder und Visionen. Nur dann, wenn wir Vorstellungen davon haben, wohin wir wollen, entsteht der Antrieb für Reformen und können die Menschen für das Risiko des Neuen begeistert werden. Die wichtigsten Felder der politischen Erneuerung sind für uns:

 

- Die Herstellung einer neuen internationalen Solidarität jenseits von Standortwettkampf und Abschottungspolitik.

- Die demokratische Verständigung darüber, in welchen Bereichen in Zukunft neues Wachstum und neue Beschäftigung entstehen können.

- Die Ökologisierung unserer Produktions- und Lebensweise.

- Die Erneuerung des Sozialstaates zur besseren Absicherung von Erwerbsbiographien und Lebensentwürfen.

- Arbeitsumverteilung und emanzipatorische Reform der Erwerbsarbeit und ihrer Rahmenbedingungen

- Eine Reform des Staates hin zu mehr BürgerInnennähe, gesellschaftlicher Selbstverwaltung und mehr Demokratie.

 

Uns ist klar: eine Politik der Erneuerung wird nicht allen Interessen gerecht werden können. Es kann nicht unser Ziel sein, die Profitinteressen der Rentiers und Vermögensbesitzer zu vertreten, die eineinhalb Jahrzehnte von Kohl-Politik profitiert haben. Ohne eine Korrektur der gesellschaftlichen Verteilungsverhältnisse wird der Politikwechsel zur bloßen Phrase. Wir haben den Mut, gegen gut organisierte Interessen das einzufordern, was Verfassungsgebot ist: die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Geld ist genug da.

 

Helmut Kohl ist abgewählt. Geschafft ist damit nur der erste Schritt - jetzt

liegt es an uns, in den benannten Feldern einen wirklichen Politikwechsel einzufordern!! Hierzu wollen wir unseren Beitrag leisten.

 

 

 

Wir Jusos:

 

Als Jugendorganisation der SPD sind wir links: frech und kritisch. Wenn es irgendwo Ungerechtigkeit gibt, schweigen wir nicht einfach betroffen, sondern schlagen Krach. Und wir tun was. Denn von nichts kommt nichts.

 

Aber Lebensqualität ist mehr als Politik. Darum machen bei uns junge Leute mit anderen jungen Leuten nicht nur gemeinsam Politik, sondern wir haben auch gemeinsam Spaß und verbringen unsere Freizeit zusammen.

 

 

Wir wollen gestalten, nicht verwalten

 

Enorme Ungerechtigkeiten machen radikale Veränderungen notwendig. Ein solcher Politikwechsel setzt einen Machtwechsel voraus. Darum mobilisieren und organisieren wir Jusos kritische linke Kräfte. Denn linke Alternativen haben Zukunft.

 

Für uns Jugendliche.

 

Ansprüche Jugendlicher durchsetzen.

Unsere Politik zielt auf reale Veränderungen, damit alle Jugendlichen die Chance haben, ihre eigenen Ansprüche an Leben, Ausbildung und Beruf zu verwirklichen.

              

Veränderung

 

Wir bieten keine Allheilmittel - wir suchen konkrete Lösungen

 

Gesellschaftliche Veränderung braucht Gestaltungsmacht. Politik darf sich nicht auf Sachzwänge zurückziehen. Wir stellen dazu ein Gegengewicht dar: Wir vernetzen die Kräfte, die unser Leben wieder gestalten wollen, statt nur zu verwalten.

 

Nichts ist langweiliger als fade Statements, wie grausam die Welt sei.

 

Darum machen wir mit unserer Kampagne deutlich, wie Politik unsere Lebensbedingungen konkret gestaltet und den Alltag verändern kann.

 

Mit Macht umfairteilen

 

Unser Land ist gespalten: auf der einen Seite immer größere Reichtümer, auf der anderen Seite steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Reallöhne. Unternehmen investieren ihre riesigen Gewinne in Aktien statt in Arbeitsplätze.

 

Das wollen wir ändern. Vollbeschäftigung ist machbar. Mit einer aktiven, zukunftsgerichteten Beschäftigungspolitik. Und mit dem politischen Willen, das nötige Geld dafür aufzubringen. Darum brauchen wir Arbeitszeitverkürzungen und eine Umverteilung des vorhandenen Reichtums. Für uns sind die enormen Gewinne der Banken und der Industrie sowie die großen privaten Geldvermögen kein Tabu, sondern eine wichtige Quelle für soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Reformen.

 

Wir haben die Schnauze voll von Politfunktionen, die in Sonntagsreden Verständnis für die Probleme Jugendlicher heucheln, aber nichts tun. Denn es geht um unsere Zukunft. Wir wollen unser eigenes Leben gestalten. Wir wollen in Schule und Uni wirklich "für`s Leben lernen". Wir wollen sinnvolle Ausbildung und Arbeit für Männer und Frauen. Wir wollen einen ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft. Darum wollen wir uns gemeinsam mit Dir für unsere Ziele einsetzen, Alternativen formulieren und mit Entschlossenheit Politik gestalten. Wer, wenn nicht wir – und wann, wenn nicht jetzt.

 

Arbeit

 

Umverteilung von Arbeit, Arbeitszeitverkürzung, öffentliche Beschäftigung. Qualifizierte Arbeit ist ein Grundrecht. Arbeitszeitverkürzung schafft Arbeitsplätze und bekämpft Massenarbeitslosigkeit. Wir fordern die Umfairteilung von Arbeit zwischen ArbeitsplatzbesitzerInnen und Arbeitslosen, Frauen und Männern- zu Hause und im Beruf.

 

Bildung

 

Ausbildung und Zukunft durch Umlagefinanzierung

 

Eine qualifizierte Ausbildung wird immer wichtiger. Immer weniger Betriebe bilden aus. Uns reicht`s jetzt! Wir wollen, daß Unternehmen, die nicht ausbilden, wenigstens zahlen: in einen Fond, der Ausbildungsplätze finanziert.

 

Umwelt

 

Solarer Umbau, Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP)

 

Solarenergie ist die Technik der Zukunft. Wir könnten sie heute schon nutzen. Schluß mit der Subventionierung von Atomindustrie. Weg mit dreckigen Schloten. Investition in Solarenergie heißt: Investition in Arbeitsplätze, Umwelt und Zukunftstechnologie.

 

Europa

 

Aktive europäische Beschäftigungspolitik

 

Wir wollen ein offenes Europa, ein Europa der Beschäftigung und des sozialen Ausgleichs. Nicht bloße Stabilitätsideologie, sondern Verwirklichung des Grundrechts auf Arbeit. Wir wollen weg von der Festung Europa hin zu einer fairen und gerechten Weltwirtschaftsordnung.

 

In über 3000 SchülerInnengruppen, Hochschulgruppen und Juso-Arbeitsgemeinschaften machen wir konkret Politik. Reinschauen lohnt sich!

 

Wir sind offen auch für die, die nicht in die SPD eintreten möchten. Seit November 1993 muß keiner mehr um Juso zu werden auch SPD-Mitglied werden. Ab 14 Jahren könnt Ihr bei uns was bewegen, ohne gleich in die Mutterpartei einzutreten.