September 1998
CHIAPAS AKTUELL
- Teil 2 -
Seit Januar 1997 ist die Irish
Mexico Group mit einem Friedenscamp im Zapatista-Dorf Diez de Abril permanent
vertreten. Diez de Abril besteht aus etwa 100 Familien, die 1996 einen
Großgrundbesitzer verjagten und ihre Häuser auf den Ländereien errichteten. Das
Dorf befindet sich etwa 10 Autominuten von einem riesigen Lager der
mexikanischen Armee entfernt.
Chiapas, Mexiko. Drei Autostunden von San
Cristobal entfernt, über glatte Landstraßen und zerklüftete Bergwege, erstreckt
sich in einem Tal das Dorf Diez de Abril. Vor vier Jahren war hier noch eine
riesige Farm, die einem einzigen Mann gehörte, bis sich die EZLN - die
Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung - im Jahr 1994 erhob. Viele
Großgrundbesitzer verzogen sich in die Städte, und die Landarbeiter übernahmen
die Farmen. Heute bietet Diez de Abril 700 Zapatistas (Eltern plus Kinder) ein
Zuhause - und eine Reihe internationaler Beobachter verbringt eine Zeit im
irischen Friedenscamp. Die internationale Präsenz wird als sehr wichtig
angesehen, zumal sich das Dorf noch immer von einem Armeeüberfall vor zwei
Monaten erholt und die Lage im nahegelegenen Morelia (regionales Hauptquartier
der Zapatistas) sehr gespannt ist, wo etwa 30 Familien zur Regierungsseite
übergelaufen sind. „Wir haben keine Ahnung, wann die Armee wiederkommt“,
erzählte mir Alfredo, einer der gewählten Vertreter des Dorfes. „Wenn sie ins
Dorf eindringen, werden die internationalen Beobachter Zeugen sein, während
sich die Frauen den Soldaten entgegenstellen werden. Die Männer warten in den
Bergen als zweite Verteidigungslinie. Es ist sehr wichtig, daß Menschen von
außerhalb das Geschehen beobachten und darüber berichten.“ Die Regierung macht
es den Beobachtern nicht leicht, erklärt Sheila, eine Friedenscamperin. „Es ist
nahezu unmöglich, ein Beobachtervisum zu bekommen, also kommen die meisten
Leute mit Touristenvisa her und müssen den Straßensperren der Migrationsbehörde
ausweichen. Da hören wir manchmal recht üble Geschichten, aber normalerweise
geht alles glatt. Aber wenn sie dich in einem Zapatista-Dorf aufgreifen, wirst
du wahrscheinlich sofort abgeschoben.“ Das Friedenscamp befindet sich im Großen
Haus, La Casa Grande, in dem vorher der Gutsbesitzer wohnte - aber der Luxus
hält sich in Grenzen. Anders als in den meisten Häusern des Dorfes ist zwar der
Fußboden von Küche und Schlafraum nicht aus fest getretener Erde, sondern aus
Zement. Aber wie alle anderen müssen die Friedenscamper ihr Wasser vom Fluß
holen, über dem Feuer kochen, wenn der DIY-Strom ausfällt (der von
Hochspannungskabeln abgezapft wird) und die Latrine auf dem Feld benutzen. „Man
gewöhnt sich wirklich schnell daran“, so Sheila, „weil die Leute so offen und
freundlich sind. Ich habe mit ihnen im Maisfeld gearbeitet und ein Wandbild
gemalt, in ihren Häusern gegessen und mit ihren Kindern gespielt. Abgesehen von
den Hubschraubern und der Bedrohung durch die Armee ist das hier ein wahnsinnig
schöner Ort zum leben. Nach der Arbeit gehen wir zum Fluß baden oder ruhen uns
aus und essen Mangos.“ Alfredo erzählt mir, daß es den Dorfbewohnern viel
besser geht. „Bevor wir herkamen, hatte ich kein Land. Jetzt habe ich einen
Plateau, wo ich Mais und Bohnen anbauen kann. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.
„Über die Wahrscheinlichkeit einer erneuten militärischen Offensive gegen die
Zapatistas gibt es verschiedene Ansichten. Nachdem der radikale Bischof von San
Cristobal am Sonntag verkündete, daß sich die CONAI (die unabhängige
Vermittlungskommission, deren Vorsitz er seit ihrer Einrichtung zu den Friedensgesprächen
vom Oktober 1994 hatte) aus Protest gegen die verlogene Regierungspolitik und
die andauernde Gewalt gegen indigene Gemeinden auflöse, wurde dies als
schlechtes Zeichen aufgenommen. Viele glauben, daß es die Regierung am liebsten
eine Zersplitterung in den Dörfen sehen würde - wie in Morelia - so daß es zu
Auseinandersetzungen untereinander kommt und die Armee und die Polizei einen
Vorwand haben, in die Dörfer einzudringen und Zapatistas festzunehmen. In der
vergangenen Woche wurden in Nicolas Ruiz 140 Menschen festgenommen, als die
zapatistische Mehrheit einige Regierungsanhänger ausgeschlossen hatte. In
verschiedenen Gegenden, vor allem im Norden von Chiapas, terrorisieren außerdem
von der Regierung und/oder den Großgrundbesitzern eingesetzte Todesschwadronen
zapatistische Gemeinden. Die Zahl der Flüchtlinge ist aufgrund dessen
mittlerweile auf fast 19.000 angestiegen, berichtet die Lokalzeitung El Tiempo.
In einigen Gebieten scheint diese Taktik der Sabotage zu funktionieren,
anderswo aber halten die Zapatistas fest zusammen oder gewinnen gar neue
Anhänger. Wenn der Krieg während des Sommers auf dem Niveau der niederen
Intensität bleibt, könnten die Wahlen im Oktober dieses Jahres zu einer
ernsthaften Probe für die Regierung werden, denn die Zapatistas haben vor, ihre
Position der Stimmenthaltung aufzugeben und für die linksgerichtete PRD zu
stimmen. Wenn die Wahlen ohne Betrug vonstatten gehen, könnten sich die von den
Zapatistas gegründeten Autonomen Verwaltungsbezirke plötzlich neben offiziellen
PRD-Bezirksverwaltungen wiederfinden, was eine produktive Partnerschaft
bedeuten könnte - und eine schwierige Sache für die Zedillo-Verwaltung. Auch in
den anliegenden Bundesstaaten Oaxaca und Guerrero wird sich der Druck erhöhen,
nachdem am Sonntag in Guerrero zwölf Mitglieder der marxistischen EPR
(Revolutionäre Volksarmee) einen
Massaker durch die Polizei
zum Opfer fielen. Auch wenn EPR und EZLN nicht zusammenarbeiten, so könnten
Vergeltungsakte der EPR Teile des Militärs aus Chiapas weglocken.
VON KAFFEEBOHNEN UND
EINSCHÜCHTERUNGSVERSUCHEN DER MILITÄRS (Februar1998)
„Wir dachten, Du würdest
nicht wiederkommen“, sagten sie bei meiner Ankunft. „Wo waren die Iren, als die
Armee kam?“ Schwer zu beantworten, diese Frage. Also was war passiert? Im
Prinzip das, was die Tageszeitung La Jornada auf ihrer ersten Seite berichtet
hatte - das Dorf wurde zweimal von eine enormen Anzahl Soldaten umstellt, und
die Bewohner wurden gezwungen, für eine Nacht in die Berge zu fliehen. Vieh,
Pferde, Hühner und eine ganze Menge Geld, mehr als 100 000 Pesos, wurden
entwendet. Obwohl die Soldaten keine Haus-für-Haus- Durchsuchungen durchführten
und auch keiner der Dorfbewohner verwundet wurde, hatte die durchlebte Angst
und Anspannung doch einen großen Einfluß auf die Gemeinschaft. Die Ereignisse
vom Januar werden nun vom derzeitigen Klima der Unsicherheit und Angst
abgelöst. Vom 9. bis zum 21. Februar herrschte höchste Alarmstufe, und den
Bewohnern war es in dieser Zeit untersagt, das Dorf zu verlassen. Die Leute
waren sehr froh über die internationale Präsenz - Dörfern ohne ausländische
Beobachter gegenüber verhielt sich das Militär im Januar wesentlich
gewalttätiger. Im ganzen Dorf war der Streß, Folge dieser letzten Zeit höchster
Alarmstufe, spürbar, aber Don A. betonte: „Das nächste Mal werden wir nicht
fliehen. Das nächste Mal werden sie uns töten müssen.“ Das nächste Mal hätte
der Abend des 9. Februar sein können. Kundschafter eilten herbei und
berichteten, daß sich an der Kreuzung, nur wenige Minuten vom Dorfeingang entfernt,
15 Armeelastwagen gesammelt hatten. Verzweifelt organisierten sich die
Dorfbewohner in der schwarzen wolkigen Nacht. Männer verschwanden in der
Dunkelheit, während die Frauen im Zentrum des Dorfes Stöcke anspitzten. Wir,
die internationalen Beobachter, griffen nach unseren Kameras und
Aufnahmegeräten und postierten uns am Dorfeingang. Einige angespannte Stunden
folgten, Kundschafter kamen und gingen - nach einer Stunde fuhren 10 der
Lastwagen in Richtung der nahegelegenen Stadt ab. Und gegen 22 Uhr informierte
uns ein Verantwortlicher des Dorfes, daß die Bedrohung nun vorbei sei, auch die
verbleibenden 5 Lkws waren zur Stadt zurückgefahren, und wir könnten uns alle
ein wenig ausruhen. Die Erleichterung ringsum war riesig, die Leute tauschten
Zigaretten aus und neckten uns Ausländer wegen unserer panischen Reaktion! Am
nächsten Morgen waren alle frühzeitig wieder mit der Kaffee-Ernte beschäftigt,
und die militärische Einschüchterung der vergangenen Nacht wurde mit mutigen
Gesichtern weggewischt. Bei Don E. lief das Radio, und in den Nachrichten
konnte man entnehmen, die Regierung wolle den in San Andreas begonnenen
Friedensprozeß wieder in Gang bringen. „Lügen!“, lachten einige der älteren
Leute, und die anderen stimmten aus vollem Herzen zu. „Wir glauben nicht ein
Wort von dem, was die schlechte Regierung sagt“, erklärte Lucilita. Trotz der
allgemeinen Umstände herrschte im Cafetal gute Stimmung. Die Ernte fiel gut
aus, und außerdem war es genau hier in dieser Pflanzung, wo die Leute früher
für 8 Pesos (ca. 2 DM) am Tag für den alten Patron geschuftet hatten. Die
Zusammenarbeit im Kollektiv hebt den Gewinn auf 25 Pesos pro Kilo, einige Pesos
mehr als im vergangenen Jahr. Drei Wochen lang pflückt eine Gruppe von 20 bis
40 Dorfbewohnern, Männer und Frauen, Alte und Junge, unter der prächtigen Sonne
die Bohnen von den Bäumen. Es isteine sehr soziale Aktivität, und leises
Stimmengemurmel und Gelächter begleitet die fleißigen Pflücker. In ruhigen
Momenten wie diesem scheint der Krieg der niedrigen Intensität Millionen von
Kilometern entfernt. Das Dorf ist gewachsen, und die 96 Haushalte haben in den
letzten zwei Jahren eine erstaunliche Entwicklung erfahren, und was einst
Weideland für Vieh war, ist zu einer weiträumigen und gut organisierten
Gemeinde mit 700 Einwohnern geworden. Während es für das Kaffeekollektiv, dem
36 Familien angehören, nicht schlecht aussieht, haben das Rinderkollektiv und
das Hühnerkollektiv der Frauen unter den Verlusten vom Januar zu leiden. Mais-
und Honigkollektiv haben in diesem Jahr gute Aussichten. „Wir könnten gut
klarkommen“, erklärte einer der Arbeiter, „wenn sie und in Frieden lassen
würden.“ Aber keiner glaubt ernsthaft daran, in Frieden gelassen zu werden. Die
jüngsten politischen und militärischen Entwicklungen waren besorgniserregend.
In einem nahegelegenen Dorf, San M., kam es zu einer Spaltung, und 30 Familien
schlossen sich zu einer mit der Regierung sympathisierenden Organisation
zusammen. Die Leute erklären das so, daß diese praktisch von der
Regierungspartei gekauft wurden, indem man ihnen finanzielle Anreize bot.
Nachts hat man in den Bergen, die das Dorf umgeben, Schüsse gehört, und die
Leute befürchten, daß es sich um jene Männer handelt, die unter von der Armee
unterstützter Anleitung militärisch ausgebildet werden. Diese im Entstehen
begriffene paramilitärische Bande gehört wahrscheinlich zu der aus der Gegend
von Comiton stammenden schießwütigen Gang „Los Punales“, die in ähnlicher Art
und Weise wie Paz y Justicia, MIRA, Los Chinchulines und andere Paramilitärs
auftritt, im Rahmen der von Regierung und Militär verfolgten Strategie der
Bewaffnung anti-zapatistischer Bevölkerungsteile. Tatsächlich wurde in der
Nacht, nachdem 10 Familien aus den Bergen nach Nueva Esperanza zurückkehrten,
die sich seit den Waffenfunden vom 1.Januar in der Nähe ihres Dorfes
zurückgezogen hatten, gemeldet, daß drei Lkws voller PRI-Anhänger/ Punales spät
abends das Dorf San M. verlassen hatten und sich auf dem Weg nach Nueva E.
befänden. Am Ende geschah nichts, aber die Anspannung in der Region erreichte,
mal wieder, einen Höhepunkt. Inzwischen trafen in Diez die ersten
Hilfslieferungen von der Dioezese ein - zwei Lkw-Ladungen Reis, Bohnen,
Tortillas und andere lebenswichtige Dinge. Die Güter wurden abgeladen und die
ganze Nacht hindurch sorgfältig und methodisch von Verantwortlichen des Dorfes
verteilt. Jeder ist glücklich mit seinem Anteil, den er/sie nach all den
Störungen durch militärische Manöver bitter nötig hat. Zwei der Lehrer sind
noch da, und obgleich es sich wahrscheinlich um Anhänger der Regierungspartei
handelt, sind die Dorfbewohner doch froh, daß sie die Kinder unterrichten. „Wir
werden schon Companeros aus ihnen machen“, scherzte einer der Katecheten. Und
als die Kaffee-Ernte eingebracht war, begannen wir, an einem neuen Wandbild am
Gemeinschaftsladen zu arbeiten. Bald wird Emiliano Zapata nicht mehr nur als
Geist im Dorf anwesend sein! Der Krieg ist nie weit weg. Kurz vor meiner
Rückkehr nach San Cristobal, wo die Ausländer-Hexenjagd in den Medien ihren
Höhepunkt erreichte, wurde mir ein Haus gezeigt. Dort hatte der „Spion“
gewohnt, ein junger Informant, der am 1. Januar, als die Armee kam, das Dorf
verliess, und mit ihm gingen sämtliche Informationen über das Leben im Dorf,
die der Armee und den Paramilitärs von Nutzen sein werden. In San Cristobal ist die Atmosphäre gespannt,
Offiziere der Migrationsbehörde in Zivil halten Ausländer an und schüchtern sie
ein. In dieser künstlich erzeugten fremdenfeindlichen Stimmung scheinen
gewaltsame Übergriffe auf Ausländer vorprogrammiert, einmal abgesehen von den
systematischen Deportationen. Und während die regierungstreuen Zeitungen,
Radio- und Fernsehkanäle weiterhin getreu der Regierungslinie verkünden, die
internationalen BeobachterInnen würden gegen die Mexikanische Verfassung
verstoßen (wegen ihres Interesses die Menschenrechte und andere „Verbrechen“),
scheint es, daß die ganze Ausländerhetzkampagne zum Ziel hat, das Interesse von
den andauernden paramilitärischen Morden im Land abzulenken, ebenso wie von den
fehlenden Bemühungen der staatlichen Sicherheitskräfte, das Verbrechen von
Acteal und alle anderen Verbrechen aufzuklären.
Gruppe Internationale