April 1998

 

 

Tonträgerkritik

 

 

Mother‘s Pride: Live 10.01.98 SO36

 

Es ist heraus: Das vierte Album der Berliner Ska-Band Mother‘s Pride , erschienen beim Berliner Independent-Label Impact. Kein Konzept-Album diesmal, sondern ein solider Live-Mitschnitt aus dem Kreuzberger SO 36, wo Mother’s Pride im Januar gemeinsam mit dem britischen Ska-Urgestein Bad Manners und den Magdeburger Hiccups  im Januar vor überfülltem Hause zum Tanz aufspielten. Bis auf zwei Cover-Songs sind sämtliche Stücke der CD/LP (dreizehn Songs plus Intro und Extro) schon auf früheren Platten veröffentlicht worden: ungefähr zu gleichen Teilen auf dem 1992er Debüt-Album „Greatest Hits Vol. III“, der 1994er „Bullshit“ und der „Take That!“ von 1996.  Das macht die Sache aber nicht uninteressant: Für Leute, die noch keine der alten Platten von Mother‘s Pride kennen, bietet die Scheibe einen guten Querschnitt durch das bisherige Schaffen der Band. Dieses ist ziemlich abwechlungsreich: Mother’s Pride, die ihren Ursprung in der – damals ziemlich trashigen - deutschen „Neo-Ska“-Welle  von 1989 haben, gehen ziemlich locker und entspannt mit diversen musikalischen Einflüssen um und haben dadurch über die Jahre einen sehr eigenen Stil entwickelt. Da klingt ein bißchen Two Tone-Ska  á la Specials an, Old School Jamaican Jazz, ein bißchen Reggae und viel eigene Kreativität. Nicht daß das alles hoch künstlerisch und ausgeklügelt wäre: Es ist eher spielerisch umgesetzt, auf eine Art, die sicherlich in keiner Weise puristisch ist, aber dafür umso origineller und dennoch immer 100 Prozent Ska.

 Für diejenigen, die die älteren Mother‘s Pride-Veröffentlichungen kennen, zeigt die Platte deutlich, um wieviel besser die Jungs geworden sind. Alles ist mit viel mehr Groove und Feeling gespielt als auf den alten Studio-Aufnahmen. Mother‘s Pride war früher vor allem für gutes Songwriting bekannt, weniger für brillantes Musizieren. Mittlerweile hat sich die Band - wohl nicht zuletzt durch die zahlreichen Live-Gigs - unüberhörbar musikalisch weiterentwickelt und kann aus den alten Songs wesentlich mehr Potential herauskitzeln. Und weil Ska nun mal deftige Live-Mugge ist, kommt das bei dieser Platte auch besser rüber als bei den früheren Alben.

Sänger MC Ras Meyer ist nicht nur ein Super-Entertainer (was man allein schon beim Anhören der Platte bemerken muß), sondern kann mittlerweile auch richtig gut singen - was in der deutschen Ska-, Punk- und Indie-Rock-Szene ja durchaus keine Selbstverständlichkeit ist. Von den bisher unveröffentlichten Songs der Platte ist Rio Reisers „Shit Hit“ („Einmal täglich Haschisch nasch ich ...“) besonders erwähnenswert. Rio war bis heute zweifellos der beste deutsche Rock-Singer/Songwriter, und verglichen mit ihm wußten Lindenberg, Grönemeier oder Westernhagen nicht mal, wie Rock‘n‘Roll buchstabiert wird. Ganz schön mutig also, einen Song vom Ton,Steine, Scherben-Gründer zu covern. Aber das Resultat kann man nur als gelungen bezeichnen, zumal die Band aus ihrem tribute to Rio - wie das bei jeder guten Cover-Version nunmal ist – zwar behutsam mit dem Original umgegangen ist, gleichzeitig aber auch einen echten  Mother‘s Pride-Song daraus gemacht hat.

Die Platte ist auch sowas wie ein kleiner Meilenstein in der Entwicklung der Band, die seit ein paar Monaten an Tenorsax, Posaune und Keyboard neue Leute zu stehen hat. Das hört sich alles schon recht solide an, die Musik lebt zum großen Teil von den gut arrangierten Bläsersätzen. Es würde der Musik von Mother‘s Pride auch nicht schaden, wenn Bläser, Gitarre und Keyboard ab und an  auch mal zeigen würden, was sie als Solisten auf dem Kasten haben. Immerhin sind die neueren Songs nicht mehr so kompakt arrangiert wie am Anfang, und die Musik hat mehr Raum zum Atmen, also mehr Groove. Mit dieser Live-Platte ist das Potential des derzeitigen Programms der Band eigentlich mit Bravour ausgeschöpft. Was fehlt? Neue Songs. Aber da Mother’s Pride ja schon immer für gutes Songwriting bekannt war, werden die wohl früher oder später kommen. Man darf daher gespannt sein auf’s nächste Konzept-Album.

                                                                                               

jb