April 1998

 

 

Der Aufstand der Zapatisten

 

 

 

Ich habe mich entschieden eine kleine Serie über die Ereignisse die sich seit dem 1. Januar 1994 in Chiapas und in ganz Mexiko abgespielt haben zu schreiben und im Rotdorn zu veröffentlichen.

 

1.Teil

Als am 1. Januar 1994 die Nachfahren der Maya im südamerikanischen Chiapas mehrere Kleinstädte besetzten und in ihrem Manifest aus dem Lakandonen-Urwald der Bundesarmee den Krieg erklärten, ernteten sie in Mexiko und im Ausland nur Kopfschütteln. Es war nicht denkbar, daß die schlecht ausgerüsteten Kämpferinnen und Kämpfer der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) eine ernsthafte Bedrohung für die Regierung von Präsident Carlos Salinas sein könnten. Letzterer befand sich auf dem Höhepunkt seines Ansehen. Den 1. Januar 1994 hatte er sich als Krönung seiner sechsjährigen Amtszeit gedacht. Mit dem Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsvertrages (NAFTA) sollte aller Welt deutlich werden: Mexiko hat den Sprung zum Erste-Welt-Land geschafft. Doch die Zapatisten machten Salinas einen Strich durch die Rechnung. Sie stellten ihre elf banal klingenden Grundforderungen für ein anderes Mexiko: Arbeit, Land, Wohnung, Ernährung, Gesundheit, Erziehung, Unabhängigkeit, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden. Oder, wie sie es später immer wieder auf den Punkt brachten: ein Leben in Würde.

Binnen weniger Tage brach das Bild vom Wirtschaftswunderland Mexiko zusammen. Hinter der Fassade wurden unter den Augen der Weltöffentlichkeit Armut, Unterdrückung und Diskriminierung sichtbar. Die durch Ölfunde und wirtschaftliche Erfolge in den letzten Jahrzehnten erworbenen Gelder kamen nur den PRI-Bonzen (PRI- ist die Regierungspartei) und den ihnen geneigten Großindustriellen zugute, daß Volk sah von diesem Geld nichts.

Wesentlichen Anteil das die Weltöffentlichkeit auf Mexikos Probleme aufmerksam wurde hatten die Botschaften des charismatischen Militärstrategen und Sprechers der EZLN, Subcommandante Marcos. Nicht die Feuerkraft der Zapatisten, sondern die Kraft der Worte legte den Grundstein für die vom Präsidenten am 12. Januar 1994 verkündete einseitige Waffenruhe, der sich die EZLN umgehend anschloß.

Die Regierung erklärte sich bereit, sich in der Stadt San Cristobal de las Casas an den Verhandlungstisch zu setzen. Zudem konnte der Lakandonen-Urwald mit seinen mehr als 500.000 Bewohner faktisch als "befreites" Territorium gelten, in dem die Zapatisten die eindeutige Kontrolle ausübten. Eine Pufferzone trennte die EZLN und die Bundesarmee. Auch in den Altos de Chiapas, dem Hochland um San Cristobal, übten die Zapatisten großen Einfluß aus, ohne daß dieser auf den ersten Blick sichtbar wurde. Wider Erwarten sah es so aus, als hätten es die Aufständischen geschafft, das mexikanische System mit seiner seit 66 Jahren ununterbrochen regierenden PRI binnen Monatsfrist in seinen Grundfesten zu erschüttern.

 

 

2.Teil

Die Ereignisse

Die ersten Friedensgespräche zwischen der Regierung und den Zapatisten fanden Ende Februar in der Kathedrale von San Cristobal statt. Bischof Samuel Ruiz Garcia vermittelte. Als Verhandlungsbasis diente das 34-Punkte-Programm der EZLN, das die elf Grundfoderungen aus dem ersten Manifest konkretisierte. Zwei Punkte hatten es besonders in sich, da die Regierung sich nicht bereiterklärte über diese Punkte zu verhandeln. Die Zapatisten verlangten wirklich freie und demokratische Wahlen sowie den Rücktritt des amtierenden Präsidenten Salinas. Trotzdem weckten die Verhandlungen Hoffnungen, denn die Regierung wollte einige Verbesserungen im Konfliktgebiet vorantreiben.

Wenige Wochen später war alles Makulatur. In verschiedenen Aussagen von Regierungsmitgliedern wurde klar, wie wenig die mexikanische Zentralgewalt tatsächlich zum Nachgeben bereit war. Statt entspannender Maßnahmen verstärkten die Bundesstreitkräfte ihren Absperring um das Zapatistengebiet. Unter diesen Umständen kam die Reaktion der EZLN nicht ganz überraschend. Sie lehnt am 10. Juni 1994 die Friedensvorschläge der Regierung ab. Die zentralen Themen Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit für alle Mexikaner seien nicht gelöst. Kritisiert wurde besonders der Versuch, "die Bedeutung unseres gerechten Kampfes auf die örtliche indigena-Umgebung und sogar auf vier Landkreise in Chiapas zu reduzieren".

Die Zapatisten riefen in ihre Zweiten Erklärung des Lakandonen-Urwalds zu einem Treffen, der Nationalen Demokratischen Konvention (CND), sie wollten die zivile Oppositionsbewegung mobilisieren um Veränderungen zu erreichen. Die Hoffnung auf ein freiwilliges Einlenken der Regierung hatte sie längst aufgegeben.

Nur zwei Monate später, Anfang August, kamen mitten im Zapatistengebiet nahe Guadalupe Tepeyac 6.000 Menschen zur ersten Sitzung der CND zusammen, um über ihre Vorstellungen eines neuen Mexikos zu diskutieren - in der Geschichte der lateinamerikanischen Guerillabewegungen ein einmaliger Vorgang.

Zwei Woche später schlug die Regierung zurück, bei den Gouverneurs- und Parlamentswahlen in Chiapas kamen die Sieger jeweils von der Regierungspartei (PRI). Berichte über zahlreiche Wahlmanipulation - einige der krassesten Fälle von Stimmenkauf und - fälschung kamen aus Chiapas - änderten am Ergebnis nichts.

In Chiapas fühlte sich die Opposition um den Wahlsieg betrogen. Sie sah sich außerdem durch die zunehmende Militarisierung des Bundesstaates und die Aktionen paramilitärischer Gruppen in die Enge getrieben. Am 12. Oktober 1994, dem 502. Jahrestag der "Entdeckung" Amerikas durch Kolumbus, erklärten sich zahlreiche Landkreise gegenüber der PRI - Regierung für autonom und erkannten nur den  "Gegengouverneur in Rebellion" Amado Avendano als  Autorität an.

Das Auf und Ab im Chiapaskonflikt ging auch im zweiten Jahr des Zapatistenaufstandes weiter. Ein Treffen zwischen dem Innenminister Esteban Moctezuma und einer von Subcommandate Marcos angeführten Zapatistendelegation Mitte Januar 1995 schien vielversprechend, aber am 9. Februar verkündete der Präsident im Fernsehen Haftbefehle gegen Marcos und weitere angebliche Mitglieder der EZLN-Führung. Gleichzeitig schwärmten Armee- und Polizeieinheiten in das Territorium der EZLN aus und besetzten eine Ortschaft nach der anderen. Die Führung der Zapatisten zog sich mit ihren Truppen tiefer in den Urwald zurück. In vielen Fällen gingen ganze Dorfgemeinschaften mit ihnen. Die Bundesarmee konnten keine Gefangennahme bekannt geben auch ihre Waffen mußten nicht eingesetzt werden. In Mexiko-Stadt gab es drei Großdemonstrationen gegen das Vorgehen der Regierung. Die darauffolgenden Verhandlungen mit der Regierung verliefen wieder im Sande, nur die Haftbefehle wurden vom Präsidenten zurückgenommen. Aber es wurde wenigstens nicht geschossen.

Die Zapatisten machten einen weiteren Anlauf, landesweit die zivilen Organisationen zu mobilieren. Sie riefen zu einer Befragung über die Zukunft der EZLN auf. Tatsächlich nahmen am 27. August im ganzen Land 1,3 Millionen Menschen daran teil und sprachen sich mit knapper Mehrheit dafür aus, daß die Zukunft der Aufständischen in einer unabhängigen politischen Bewegung liegen soll. Die EZLN reagierte darauf, indem sie am 1. Januar 1996 die Gründung des Zapatistischen Bündnisses der Nationalen Befreiung (FZLN) bekannt gab. Die EZLN machte klar, daß dieser Schritt keine Waffenabgabe oder gar Auflösung der EZLN bedeutete.

Bei weiteren Gespräche zwischen Zapatisten und der Regierung kam es formal zu einem Durchbruch. Im Rahmen des Punktes "indigena-Recht und -Kultur" wurden zahlreiche Gesetzes- und mehrere Verfassungsänderungen für die Bereiche Gesundheit, Kommunikation, Bildung, Kultur und Wahlwesen vereinbart. Die Verhandlungsparteien unterzeichneten am 16. Februar 1996 ein entsprechendes Abkommen, nachdem die Zapatisten die Zustimmung ihrer Anhänger eingeholt hatten.

Bald zeigte sich jedoch die Parallele zu den Friedensverhandlungen zwei Jahre zuvor:

 

In der Praxis änderte sich nix.

Die Antwort der Zapatisten lautete erneute Mobilisierung der Öffentlichkeit, diesmal auch der internationalen. Eine knappe Woche lang waren Ende Juli und Anfang August mehrere tausend Menschen aus der ganzen Welt auf dem Ersten Interkontinentalen Treffen für eine menschliche Gesellschaft und gegen den Neoliberalismus. Damit zeigte sich ein weiteres Mal die große Anziehungskraft, die die Zapatisten auch zweieinhalb Jahre nach ihrer spektakulären Aufstandsaktion ausübten. Politisch gingen sie gestärkt aus dem Treffen hervor. Die Regierung ließ sich dennoch auf keine größeren Zugeständnisse ein. Anfang 1996 brach die EZLN weitere Gespräche mit der Regierung ab, weil sie die Verhandlungen unter den gegebenen Bedingungen als sinnlos ansah.

 

3.Teil

Die jüngsten Entwicklungen

Die EZLN ist nicht mehr die einzige Guerillabewegung in Mexiko. Bedeutung hat neben den Zapatisten bisher die Revolutionäre Volksarmee (EPR) erlangt. Sie erschien das erstemal Ende Juni 1996, anfangs eher ungläubig betrachtet, erweckte die EPR zwei Monate später Aufsehen mit gleichzeitigen militärischen Aktionen gegen die Polizei und offizielle Streitkräfte in mehreren Bundesstaaten. In Chiapas beschränkt sie sich auf die Verteilung von Propaganda. Gespräche oder gar Verhandlungen mit der Regierung lehnt die EPR rundweg ab. Die Revolutionäre Volksarmee hat erklärt, sich nun in einer Phase der politischen Aufklärungsarbeit zu befinden, in der militärische Aktionen ausschließlich zur Selbstverteidigung durchgeführt würden. Allerdings kündigte sie angesichts der zunehmenden Spannungen in Chiapas an, die staatlichen Sicherheitskräfte sofort anzugreifen, falls die Regierung sich zu einer Offensive gegen die Zapatisten entschließe.

In Chiapas selbst verschlechtert sich die Situation zunehmend, die Armee hat im Verlauf der vergangenen zwei Jahre etwa 30 bis 40 kleinere und größere Stützpunkte im EZLN-Gebiet eingerichtet. Ihre Information über die Aktivitäten der Zapatisten dürften immer genauer werden. Es wird erwartet das der Krieg der "niederen Intensität" nicht nur fortgesetzt sondern auch kombiniert mit chirurgischen Schlägen gegen die Führungsspitze der Zapatisten fortgesetzt wird. Den beschwichtigenden Reden, des Präsidenten und seiner Berater, stehen die Fakten des Krieges niedriger Intensität gegenüber. Vertreibungen, Drangsalierungen, Vergewaltigungen und Morde sind in Chiapas an der Tagesordnung. Immer wieder verschwinden Personen. Paramilitärische Gruppen, zum Teil nachgewiesenermaßen aus Mitgliedern und Anhänger der PRI zusammengesetzt, entwickeln sich zum Schrecken eines Großteils der Bevölkerung. Der Vergleich mit den mittelamerikanischen Todesschwadronen der 80er Jahre ist inzwischen angebracht. Symptomatisch ist auch, daß Raul Vera Lopez, der von Rom geschickte Hilfsbischof Samuel Ruiz Garcias und von vielen als konservativer Aufpasser eingeschätzt, immer offener die Regierung kritisiert. Auch Lopez spricht inzwischen von einem Krieg niedriger Intensität.

Zur Zeit ist die mexikanische Regierung versucht alle ausländischen Beobachter aus Chiapas auszuweisen, nebenbei werden größere Truppenbewegung der Bundesarmee von Zapatisten gemeldet. Es ist nicht auszuschließen das die Regierung in nächster Zeit versuchen wird eine Offensive gegen die Zapatisten zu führen.

Wegen dieser aktuellen Entwicklungen wird Ende diesen Jahres eine Internationale Zivile Brigade nach Mexiko reisen. Sie soll sich unter anderem eine Zeitlang in einer ländlichen Gemeinde aufhalten, in der die Unterdrückung besonders stark ist, um so zu zeigen, daß die mexikanische Regierung die Unzufriedenheit der armen Bevölkerung und ihre Organisationen nicht im Stillen niederschlagen kann. Damit soll ein Beitrag geleistet werden, den Befreiungskampf in Mexiko international bekannt zumachen und zu stärken. Interessenten können sich bei der Redaktion des Rotdorn melden.

 

Gruppe Internationale

 

Der Kampf wird weiter geführt gegen Neoliberalismus