November 1997

 

Streiktagebuch TFH-Berlin

 

Diensttag, den 2. Dezember 1997 0. Streiktag

 

Studentenstreik in Deutschland

 

Alle   Studierenden   wurden   zur Vollversammlung(VV) geladen. Der Beuth-Saal (der größte Raum in der TFH) war bis auf den letzten Platz und noch weiter gefüllt. Studentenvertreter anderer Hochschulen haben über ihre Streikerfahrungen berichtet. Der Präsident der technischen Fachhochschule (TFH) erklärte seine Sympathie für den studentischen Standpunkt. Er ist auch der Erste, von dem man das Wort "STREIK!" hörte. Während einer Diskussion zeichnete sich auch bei uns eine Mehrheit für den Streik ab. Die W beschloß, daß sich die TFH ab Mittwoch 8.00 Uhr als 68. Uni in Deutschland am Streik beteiligt. Eine Demonstration schloß sich an die W an. Sie führte zum Ernst Reuter Platz. Mit einer Dankesparade aller Berliner Studenten an Helmut Kohl zum Wittenbergplatz folgte die nächste Aktion.

 

Dabei wird unter anderem das folgende Lied gesungen.

 

Danke Helmut, Danke für Deine Zukunftsträume,

Danke, für Deinen Sachverstand.

Danke, denn nur durch deine Stärke

geh 'n wir Hand in Hand.

 

Danke, für wen'ger Spitzensteuer,

Danke, für 'n neuen Bundestag.

Danke, daß auch von dem Gemäuer

Du uns leiten magst.

 

Danke, für Deinen Eurofighter,

Danke, für Deine schützend Hand.

Danke, daß Kraft Deiner Taten

blüht das ganze Land.

 

Danke, für pralle Rentenkassen,

Danke, auch für den Transrapid.

Danke, daß Du beim Geld verprassen lachst,

ham' wir Dich lieb!

 

Danke, für Deine zich Millionen,

Danke, für Deine Zuversicht.

Danke, daß Du mit Deiner Kraft

uns alle führst ins Licht.

 

Danke, für Deine Unterstützung,

Danke, daß Du so zu uns hälst.

Danke, für deine 40 Mille,

die Du uns zur Verfügung stellst.

 

Danke, für Deine großen Worte,

Danke, für Deine Edelmut.

Danke, für deine Sympathie,

dann wird wohl alles gut.

 

Danke, für. Deine Unterstützung,

Danke, für die Großzügigkeit.

Danke, für unsre tolle Bildung,

immer jederzeit.

 

Danke, für Deine edlen Sprüche,

Danke, für jeden Studienplatz.

Danke, es wird sich alles wenden

nichts ist für die Katz.

 

Vom Wittenbergplatz aus informierten studentische Gruppen die Berliner Bevölkerung über die Motive des Streiks.

Um 18.00 Uhr fand im AstA das erste Treffen der Studentenschaft statt, aus der sich mehrere Aktionsgruppen herauskristallisierten. Ich schreibe mich in der Aktionsgruppe des Streikcafes ein, die die Aufgabe hat, die Studenten zu informieren und zu Diskussionen anzuregen.

Inzwischen ist es spät in der Nacht, und ich stelle fest, daß streiken mehr anstrengt als Vorlesungen.

 

Mittwoch, den 3. Dezember 1997 1. Streik-Tag

 

Für diesen Tag war am Morgen um 8.00 Uhr eine W angesetzt, auf der sich zu Beginn die Arbeitsgruppen kurz vorstellten. Natürlich war auch heute der Beuth- Saal wieder überfüllt. Auf der Sitzung wurde folgendes beschlossen:

Es findet ein von Tag zu Tag befristeter Streik statt. Tägliche VV 's werden über die Fortführung des Streiks entscheiden.

Des weiteren kamen Aufrufe zu Aktionen unter anderem:

-         eine Protestaktion am U- Bahnhof Leopoldplatz zu Information der Passanten

-         Ausleihaktion in der Amerika-Gedenk-Bibliothek, wobei 80.000 Bücher ausgeliehen wurden. Die Aktion war ein voller Erfolg.

Sogar ein Architekturprofessor brachte sich in die W ein. Er empfahl als Forderung die Abwählbarkeit von Professoren.

Die Mehrzahl der Vorlesungen fiel heute aus. Der Fachbereich(FB)4 Architektur bildete eine Ausnahme. Professoren dieses FB belegen Studierende für alle Protestaktionen mit deutlichen Repressalien, wobei schlechte Notengebung noch die harmloseste Version ist, und Klagen der Professoren sogar bis zur Exmatrikulation gehen. Spätestens jetzt wurde uns die Forderung des Professors auf der W ganz deutlich.

Um 18.00 Uhr tagte der Streikrat. Alle Arbeitsgruppen haben sich konstituiert und ihre Arbeit aufgenommen. So hat z.B. die Demogruppe Plakate für die morgige Demo gemalt. Die Streikgruppe hat die speziell Vorlesungen des FB4 mit vielen Kommilitonen gestört. Eine Vorlesung wurde durch 50 Menschen zu einer Diskussion über den Streik umgewandelt. Leider hat sich die Gruppe während des Tages vollständig aufgelöst.

Schon wieder ist es sehr spät geworden, und der Streik hinterläßt erste Spuren in Form von Augenringen.

 

Donnerstag den 4. Dezember 1997 2. Streik-Tag

 

Als ich um neun ins Streikcafe kam, erhielt ich die Nachricht, daß immer noch etliche Vorlesungen stattfinden. Allerdings ist das Sprengen von Vorlesungen ohne Organisation fast unmöglich.

Auf der W um zehn werden die Ergebnisse der Arbeitsgruppen vorgestellt. Es wird beschlossen den Streik auch am Freitag fortzuführen. Außerdem wird der Forderungs-Katalog geteilt. Es gibt jetzt einen mit TFH-internen Forderungen und einen mit allgemeinen Hochschulforderungen.

Nach der VV sind wir zu dritt zum Brandenburger Tor gegangen. Hier begann mittags um 13.00 Uhr eine riesengroße Studenten-Demo. 30.000 nahmen in Berlin schon seit 10 Jahren nicht mehr an einer Studentendemo teil. Auf der Abschlußkundgebung sprach ein Gewerkschaftler, der die Solidarität der Gewerkschaften mit den streikenden Studenten bekannt gab. Die ersten Berliner Schulen haben beschlossen, sich dem Uni-Streik anzuschließen, und ihn auf das gesamte Bildungssystem auszuweiten. Außerdem wurde bekannt gegeben, daß an den Unis von Paris, Rom und Tel Aviv Sympathiestreiks stattfinden. Das auch ausländische Unis die Forderungen der deutschen Studenten unterstützen, stärkt unsere Hoffnung, wenigstens einen Teil der Forderungen durchsetzten zu können. Noch immer kann kein Mensch verstehen, warum Deutschland, ein so reiches Land das es sich den Eurofighter 2000 (Jäger 90), den Transrapid und andere Großprojekte leisten kann, kein Geld für die Bildung hat.

 

Ein Student