Oktober 1996

 

 

Der Kommentar

 

”Politische Kirche!” oder ”Streiten sich die Kirchen auch mal mit den Parteien?”

 

Gerade etwas mehr als ein Jahr ist es her, daß die Kirchen ihr Wort ”Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit” oder auch ”Sozialwort der Kirchen” genannt veröffentlichten, und schon stellt sich die Frage, ob dieses überhaupt etwas bewirkt hat. Anders jedenfalls war für mich die Frage einiger junger und politisch interessierter Leute nicht zu verstehen, als sie von mir wissen wollten, ob sich die Kirchen denn auch mal mit den politischen Parteien streiten. Sie hatten diese Veröffentlichungen nicht groß mitbekommen. Deshalb denke ich, ist es wieder einmal Zeit, auf die Rolle der Kirchen in der Politik einzugehen. Dafür soll ein kurzer Kommentar über gerade dieses Wort dienen.

Ja, die Kirchen streiten sich mit den Parteien, wie es jede große Institution in unserem Land tut. Sie streiten sich mit den Parteien um Wege aus den Problemen der Zeit. Genau dieses wollte dieses Wort, wie viele seiner Vorgänger durch seine Veröffentlichung erreichen. Sie wollen ihre Vorstellungen von Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft als eine Alternative gegenüber den anderen privatistischen Tendenzen in unserer gegenwärtigen Gesellschaft darstellen. Aus der ihr eigenen christlichen Sichtweise des Menschen ergeben sich für sie entsprechenden Forderungen gegenüber der Gesellschaft. Nach christlicher Sicht ist der Mensch Geschöpf Gottes und als solches besitzt er eine unveräußerliche Würde, welche die Gesellschaft achten muß. Einem Menschen nicht mehr die Chance zu geben, seinen Lebensunterhalt selber zu verdienen, oder auch im Alter noch sein Auskommen zu haben, verstößt gegen diese Menschenwürde. Daß die Besitzenden es nicht schaffen, den anderen Menschen die Möglichkeit des würdigen Lebens zu geben, ist eine Verletzung dieser Würde. Deshalb müssen die Kirchen sich mit den Parteien streiten, weil dieses von ihnen als die prägende Institution in diesem Staat vergessen zu werden scheint.

Die Kirchen können dieses mittlerweile sagen, da sie sich von ihrer engen Bindung mit der monarchischen Macht gelöst und zu einer die Demokratie achtenden und stützenden Institution gewandelt haben, da die Menschen in ihr Demokraten sind. Ihre Bindung an Gott und seinem Wort haben sie noch nicht verloren, weshalb sie den Mut aufbringen, solche Worte zu sagen, von Institution zu Institution.

Sie wissen aber auch, daß die gegenwärtige Situation nur durch eine Änderung des Bewußtseins in den Menschen geändert werden kann. Demokratische Politik funktioniert nur so gut, wie die Menschen, die sie gestalten. Deshalb machen die Kirchen den übrigen Institutionen deutlich, daß es ihre Aufgabe ist, das Bewußtsein für Solidarität und Gerechtigkeit bei den Menschen in dieser Welt wieder zu wecken, wie es die Generationen vor ihnen hatten. Wenn es dieses Bewußtsein nach dem Weltkrieg nicht gegeben hätte, hätten wir nie eine soziale Marktwirtschaft in dieser Welt entwickeln können, wo alle Menschen Versorgung erfahren können.

Wie aber kommt es, daß dieses Wort eigentlich keine Wirkung in unserem Land hatte? Nun, da gibt es mehrere Faktoren. Zum einen sind die Lösungsvorschläge nicht unbedingt neu. Aber warum sollten sie dieses auch. Die Kirchen fordern von allen Bereichen der Wirtschaft, daß sie sich bemühen, die Arbeitslosigkeit und die damit irgendwann eintretende Handlungsunfähigkeit abzubauen. Damit der Staat seine Aufgaben wahrnehmen kann, braucht er die dafür notwendigen Mittel. Aber diese bekommt er zur Zeit nicht, da die ausfallenden Einnahmen durch die Arbeitslosigkeit verstärkt werden. Wer aber diese Gesellschaft verstanden hat, der fordert dieses aber auch so. Also nichts neues. Wir brauchen aber zunächst auch nichts neues, sondern das Verständnis für die Notwendigkeit der Umsetzung dieser Forderungen. Wenn es also gelingen soll, dann müssen alle Menschen in diesem Land an diesem Strang ziehen. Nichts anderes fordern die Kirchen.

Die Kirchen haben erkannt, wie viele andere auch, daß es diesem Land gut geht, die Gelder nur falsch verteilt sind. Hier streiten sie sich überwiegend mit der Regierung, die ja wohl der Meinung ist, daß die Probleme gelöst werden, wenn die Reichen noch mehr haben und dadurch mehr Arbeitsplätze schaffen können. Dieses werden sie dann ja auch aus lauter Freundlichkeit tun. Diesen Tatbestand spricht das Wort nicht klar genug aus, aber sie scheinen doch verstanden zu haben, daß die Reichen nicht aus purer Freundlichkeit sich für die nicht so reichen Menschen kümmern, sondern ihnen ihre Renditen wichtiger sind. Nur wenn wieder in den Vorstandsetagen wieder eine soziale Ethik eintritt, die darauf gründet, daß es der Auftrag der Besitzenden ist, mit diesem Besitz der Gesellschaft zu dienen, kann diese Misere aufhören. Die Kirchen haben wohl aber nicht mehr die Möglichkeit, dieses deutlich in die Vorstandsetagen zu tragen. Es sind die Aktionäre, für die sich die Vorstände interessieren. Es sind die Menschen, die ihr Geld damit verdienen möchten, daß die Kurse gut sind. Sie werden nicht mehr von dem Interessegeleitet, der Gesellschaft zu dienen, mit der diese Wirtschaftsform einmal gestartet ist. Dieser Staates will ein Staat sein, in dem alle Menschen in Frieden sicher leben können, in dem jede Frau und jeder Mann die Möglichkeit haben soll, nach den eigenen Vorstellungen das Leben zu führen, wo alle Menschen gleich sein sollen. Seine Fundamente liegen in dem System der freiheitlichen Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft. Die Freie Marktwirtschaft hat immer gezeigt, daß sie Probleme nicht lösen kann. Sie schafft sozialen Ausnahmezustand und nicht den sozialen Frieden, der das beinahe stetige Wachstum ermöglicht hat.

Ein anderer Punkt ist, daß die Politik hat dieses Wort tot gelobt hat. So verhinderte sie eine inhaltliche Auseinandersetzung. Dieses Wort brauchte aber die öffentliche Diskussion, um die nötige Bewußtseinsänderung zu erreichen. Somit wurde es schon der Öffentlichkeit entzogen und die gut genannten Probleme, aber auch der Lösungsansatz einer Einstellungsänderung wurden nicht mehr diskutiert.

Ferner haben die Kirchen die Öffentlichkeit verloren, weil keiner mehr ihr angehören will. Sie selber sind in großen Schwierigkeiten und können bald nicht mehr ihren Dienst an der Gesellschaft erfüllen. Auch deshalb vermist man die Wirkung in der Gesellschaft.

Dieses sind die Faktoren, die eine nachhaltige Wirkung dieses Wortes in unserer Gesellschaft verhindert haben.

Die Kirchen haben recht. Recht mit der Forderung, daß in dieser Gesellschaft sich die Einstellung der Menschen, aller Menschen, hin zu Solidarität und Gerechtigkeit im Kleinen und im Großen ändern muß, um die großen Probleme in diesem Land zu lösen.

 

Volker Strehlow