Mai 1995
8.Mai 1945 - 8.Mai 1995
50 Jahre nach der Befreiung vom
deutschen Faschismus, aber noch kein Tag Frieden !
Die Berliner Erklärung: Demoaufruf für den 7.Mai von160 Organisationen
(unter ihnen die Jusos) und Einzelpersonen:
Aus Anlaß des 50-Jahrestages der Befreiung von Faschismus und Krieg hat
sich in Berlin ein Bündnis aus inzwischen weit über 160 Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen
gebildet, welches für die Woche vom 2.5 - 8.5.95 zu einer Mahnwoche aufruft. Im Rahmen dieser Mahnwoche finden verschiedene
Veranstaltungen statt. Träger des ganzen ist die
Internationale Liga für Menschenrechte, im
Geiste von Carl von Ossietzky e.V.
Das Berliner Bündnis wird am 2.Mai 1995 (am
2.Mai 1945 wurde Berlin durch sowjetische Truppen befreit) am sowjetischen Ehrenmal Kränze niederlegen. Während der Woche werden von den verschiedensten Organisationen Veranstaltungen zu Themen wie Krieg und
Faschismus, wie Rassismus und Gleichstellung aller Menschen stattfinden, und
auch Klassik-Konzerte in der Berliner Philharmonie und
antifaschistische Stadtrundfahrten.
Am 7.Mai 1995 wird um 11 Uhr vom Berliner
Alexanderplatz ein Gedenkgang durch das ehemalige jüdische
Viertel, das Scheunenviertel, starten.
Während des Gedenkgangs wird an verschiedenen
Orten an die Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens während der Zeit des Faschismus erinnert. Der Gedenkgang wird vor der "Neuen
Wache" an der Straße Unter den Linden
enden. Dort
wird dann eine Kundgebung und ein Friedensfest
stattfinden, welches von allen Unterstützerinnen
getragen wird. Für die Kundgebung sind
Menschen aus den von Deutschland
überfallenen Ländern eingeladen, Zusagen gibt es
bereits aus Rußland, Frankreich und
Holland, angesprochen sind noch weitere.
Für das Friedensfest sind verschiedene Rock-, Punk-, Ska-, Folk-, Klezmer-, gruppen
vorgesehen (z.B. The Dostojevskies, Gom Jabbar, Blechreiz, Courage of Lassie), die sicherlich für ein buntes, vielseitiges, hirn- und herzanregendes Programm
sorgen werden. Der internationale
Friedensmarsch von Berlin über Moskau nach Hiroshima wird im Rahmen dieser Veranstaltung verabschiedet. Am 8.Mai 1995
werden mit den internationalen Gästen der Kundgebung an den Mahnmalen der
Verfolgten und der sowjetischen Armee Kränze niedergelegt,
so soll der Mahn-Woche zum Gedenken des 50.Jahrestages ein würdiger Abschluß gegeben werden.
Die unterstützenden Organisationen wenden sich mit Nachdruck und aller
Entschiedenheit gegen die Relativierung der Verbrechen, die im deutschen Namen
begangen wurden. Seit vielen Jahren versuchen konservative
Politiker und Historiker wie Noite Stürmer oder Hillgruber, den
Nationalsozialismus abzuwickeln, den Holocaust einzuordnen. Bei dieser
Auseinandersetzung geht es nur vordergründig um
Geschichte, eigentlich soll eine Legitimationsbasis geschaffen werden für zukünftige politische Entscheidungen.
Das Auschwitz-Komitee in der BRD e.V., im Jahr
1992, zum "Historikerstreit" und
Geschichtsdebatten
in Deutschland: "In Israel, Europa und den Vereinigten Staaten, weltweit wird darüber nachgedacht, wie der Shoah zu gedenken sei, ohne sie zur musealen Geschichte
gerinnen zu lassen. In der BRD hingegen wird - wissend,
daß eine deutsche Nation ohne Vergangenheit nicht zu haben ist - der Versuch unternommen, den Nationalsozialismus
seiner spezifischen Verbrechen zu 'entkleiden'".
So formulierte der Historiker Ernst Noite am
8.6.86 in der FAZ: "Vollbrachten die
Nationalsozialisten,
vollbrachte Hitler eine 'asiatische Tat' vielleicht
nur deshalb, weil sie sich und ihres gleichen
als potentielle oder wirkliche Opfer einer
asiatischen Tat betrachteten ? (...) War
nicht der Klassen-Mord der Bolschewik! das logische und faktische Prius des Rassenmordes der
Nationalsozialisten"? (E.Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will;
FAZ 8.6.86). Vor dem Hintergrund einer
eingebildeten bolschewistisch-asiatischen
Venichtungs-drohung sollen die Nazi-Verbrechen leichter nachvollziehbar und
wohl auch entschuldigt werden.
Die systematische industrielle Vernichtung der europäischen Juden wird so zu einem Teil der Kriegsführung, die ihr Vorbild und ihren Vergleich in anderen Massenverbrechen findet (Stalins
Archipel Gulag, Pol Pot usw.). Das spezifische
Merkmal des nationalsozialistischen
Krieges als eines rassistischen
Vernichtungskrieges wird somit geleugnet.
Konservative
Politiker folgten Noites The- sen auf dem Fuße. Die Handreichung über den SS-Gräbern in Bitburg, die Diskussion um den Bestand der West-Grenze Polens, die Rede des damaligen Bundestagspräsidenten Phillip
Jenninger am 9.11.1988 im Bundestag, zum
50.Jahrestag der Reichs-Pogromnacht, oder die seit dem vorigen Jahr verstärkt geführte Debatte um den kommunistischen
Widerstand gegen den Faschismus mit dem Ziel, den Widerstand in Gut und Böse zu teilen, sind Beispiele für Versuche, die deutsche Geschichte umzuschreiben, die
'geschichtlichen Koordinaten' nach rechts zu wenden.
Das Bündnis in Berlin wendet sich auch gegen
die zunehmende Militarisierung der deutschen Außenpolitik mit
u.a. den Stationen Flotten- und AWACS-Einsätze in der Adria. Die Beteiligung der Bundeswehr am UNO-Einsatz in Somalia und auch die Diskussion um
Bundeswehreinsätze im ehemaligen Jugoslawien haben hierzu beigetragen.
Bisher gestattete das Grundgesetz, aufgrund der deutschen Geschichte, den Einsatz der Bundeswehr nur innerhalb des Geltungsbereiches des
NATO-Vertrages und auch nur zur Verteidigung. Mit dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1994 wurden Auslandseinsätze der
Bundeswehr im Rahmen der WEU und der NATO
erlaubt. Die Bundesregierung verbindet diese Einsätze mit einer
massiven Werbung für die Bundeswehr und stellt dabei
die humanitären Aspekte in den Vordergrund. Die deutsche Öffentlichkeit - und
auch die Bundeswehrsoldaten selbst - soll sich allmählich an
die Präsenz deutscher Soldaten im Ausland gewöhnen. Und
natürlich daran, daß sie dort nur Gutes tun.
Diese Propaganda vom "humanitären Soldaten" kann aber nicht
darüber hinweg täuschen, daß bald schon die ersten Soldaten in Zinksärgen nach Hause kommen könnten. Die Aufstellung von "Krisenreaktions-Kräften"
(KRK) und die von Verteidigungsminister Ruhe in den
"Verteidigungspolitischen Richtlinien" vom November 1992 festgelegten "vitalen nationalen
Sicherheitsinteressen" geben hierüber ein beredtes Zeugnis. Zu diesen Sicherheitsinteressen
gehört unter anderem die "Aufrechterhaltung des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaft-Ordnung". Dieses
Zitat läßt darauf schließen, daß die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee ausgebaut werden soll, die frei nach Belieben und deutschen Wirtschaftsinteressen in andere Länder einmarschiert, um
dort angebliche deutsche Interessen zu verteidigen.
Wer der durch die 'Vereinigung' entstandenen Verantwortung dieser
Republik mit "Kampfeinsätzen der
Bundeswehr" zur Schaffung einer "neuen
Weltordnung" und mit "weltweitem
Krisenmanagement" gerecht werden will, ist auf dem besten Wege unser aller Zukunft zu verspielen.
Es gilt: Militärische Interventionen und Kriege
vergrößern die Konflikte und können auch mörderische Bürgerkriege wie in Jugoslawien nur noch verschärfen und weltweite
Krisensituationen auslösen. Argumente und Begründungen haben die Herrschenden
immer gefunden - Opfer der Kriege waren immer die Völker. In unserer
Zeit hängt das Überleben der Menschheit letztlich davon ab,
daß wir lernen, Konflikte ohne Waffengewalt zu lösen.
Eingedenk der blutig erkauften Lehren aus dem Faschismus und aufgrund der (neu)-deutschen Kontinuitäten fordern wir:
-
Kein
Einsatz von bewaffneten deutschen Verbänden
-
Weltweite
Abschaffung aller atomaren, biologischen und chemischen
Waffen - statt Rüstungsproduktion und-
handel
-
Abschaffung
aller Kriegsdienste statt Militarisierung der
Gesellschaft
-
Soziale
Rechte für alle, Erziehung zu Toleranz und menschlichem Miteinander -statt Glorifizierung von Hierarchien und Konkurrenzkampf
-
Demokratische
Rechte für alle hier Lebenden : Wahl-, Bleibe-, Arbeits- und Wohnrecht
unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion und Herkunft
-
Eine
konsequente Bestrafung der rechtsextremistischen Taten - statt einer Verharmlosung durch manche Polizisten, Juristen, Journalisten und Politiker
Gegen das Entsetzen und das Nachgeben setzen
wir das Eintreten für ein gleichberechtigtes und menschenwürdiges
Zusammen-Leben aller Menschen. Die Geschichte dieses
Landes mit den nicht vergleichbaren Verbrechen an Millionen von
Menschen verlangt nicht nach den Enkeln in einer deutsch-nationalen Koalition, sondern nach unserer bewußten politischen Konsequenz.
Die Geschichte zeigt, nicht das Hoffen, daß die Herrschenden es schon machen werden, schützt vor dem eigenen Untergang, wir müssen selber handeln, selber eingreifen um demokratische Rechte zu schützen, indem sie genutzt
werden.
Entsetzen und Schämen reicht nicht.
Deshalb werdet aktiv in der Friedensbewegung in Antifa-Gruppen und
Organisationen. Beteiligt Euch an den Aktivitäten der Friedensbewegung
anläßlich des 50. Jahrestages der
Befreiung von Faschismus und Krieg.
Beteiligt Euch an der Demonstration und
am Friedensfest am 7. Mai in Berlin.
Denn wir wollen Leben und die Erde bewohnbar erhalten.
Nie wieder Krieg, Nie wieder Faschismus!
Organisationsgruppe im Berliner Bündnis 8.Mai
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