September 1994

Völkermord in der Türkei?
Ohne uns!


Am 16. Juli fand im Kurt-Lade-Klub unsere Veranstaltung über die Situation der Kurden in der Türkei mit dem Kurdischen Studentenverband statt. Die Diskussionsrunde mit unseren kurdischen Freunden und einer Vertreterin von Amnesty International fand großen Anklang und so war dann auch der Clubraum bis auf den letzten Sitzplatz besetzt. Angesichts der tiefen gesellschaftlichen Krise, in der sich die Türkei seit einigen Jahren befindet, ist heute der Kampf des Kurdischen Volkes um Selbstbestimmung und kulturelle Freiheit immer noch von besonders aktueller Bedeutung. Nach der Einleitung zur Lage der Kurden von einem Genossen des Kurdischen Studentenverbands berichtete unsere Gesprächspartnerin von Amnesty International von ihren Beobachtungen in den Kurdischen Gebieten.
Mord und Terror
Sie berichtete von den Grausamkeiten, der systematischen Verfolgung und Vernichtung durch die Türkische Armee. Ihre detaillierten Berichte waren mehr als nur ein Schock für uns. Die Schilderungen über die gewaltsame Zerstörung der Dörfer und die Vertreibung der hilflosen Bevölkerung durch paramilitärische Einheiten, die vor allem von Deutschland mit Waffen ausgerüstet, die Dörfer anzünden und sie dem Erdboden gleich machen, waren entsetzlich. Die türkische Regierung fuhrt einen schmutzigen und brutalen Krieg, vor allem gegen die Zivilbevölkerung, um den Kampf des kurdischen Volkes für Selbstbestimmung niederzuschlagen. Diese Strategie der Türkischen Armee bedeutet eine kategorische Entvölkerung ganzer Landstriche, welche die kurdische Bevölkerung in eine zunehmende Verelendung treibt und somit auch in den Widerstand. Ein ca. 30 Minuten langer Videomitschnitt der seriösen Nachrichtensendung "Monitor" des WDR und anderer Filmdokumentationen belegten die Aussagen unserer Gäste nachdrücklich. Die bewaffneten Auseinandersetzungen in der Ost- und Südtürkei zwischen der Armee und den Guerillakämpfern der verbotenen, seit 1984 für einen unabhängigen sozialistischen Kurdenstaatkämpfende Arbeiterpartei Kurdistans PKK gehen unvermindert weiter. In dem andauernden blutigen Freiheitskampf der PKK für einen eigenen Kurdenstaat starben bereits mehr als 6250 Menschen, zehntausend Personen wurden verschleppt. Besonders brisant ist daher die seit 1964 kontinuierlich gewährte "Verteidigungshilfe" der BRD an die Türkei, insgesamt im Wert von 6 Milliarden DM. Seitdem leugnen Regierungssprecher immer wieder hartnäckig den Einsatz der Waffen gegen die Kurden. Dank unseres brillanten Außenministers Herrn Kinkel (Liberaler Knecht des Kanzlers), findet das Morden kein Ende. Spätestens durch dieses Verhalten "unserer" Regierung geht dieser Krieg uns alle an!
Internationale Wachsamkeit
Trotz der Gefahren die auch für deutsche Journalisten und engagierter Menschenrechtsbewegungen wie Amnesty Inter- national bestehen ist es besonders erwähnenswert, daß es zum Zeitpunkt der Veranstaltung noch keine zwei Wochen her war, daß unsere Vertreterin von Amnesty International in Kurdistan war, wo sie Augenzeugin dieser Brutalität war. Nicht zuletzt der Mord im April an Lissy Schmidt, einer 35-jährigen Journalistin die als freie Mitarbeiterin für die französische Nachrichtenagentur afp tätig war und auch u.a. für die Frankfurter Rundschau und den Berliner Tagesspiegel schrieb, zeigt die Gefahr, der man ausgesetzt ist. Das Interesse am Schicksal der Kurden in der Deutschen Öffentlichkeit ist wach zu halten. Die kurdische Bevölkerung ist in großer Gefahr, in dieser Situation sind kritische ausländische Beobachter und parlamentarische Delegationen von großer Bedeutung. Die massiven Behinderungen von Berichterstattungen sprechen für sich. Selbst die Deutsche Botschaft in Ankara kann ein Lied davon singen, wie viele deutsche Journalisten sie, von türkischen Sicherheitskräften verhaftet, aus dem Gefängnis holen mußte. Verbunden mit der Freilassung der Journalisten war dann auch die sofortige Ausreise, teilweise mit Anordnung von türkischen Gerichten.
Wir fordern:
- Sofortiger Abschiebestop der Kurden in allen Bundesländern
- Schluß mit der Kriminalisierung der politischen Aktivitäten der Kurden in Deutschland
- Waffenembargo gegen die Türkei
- Besonderer Einsatz der deutschen Außenpolitik zur Ankurbelung eines Friedensprozesses mit der Perspektive der Schaffung eines eigenen selbstbestimmten Lebensraum für die Kurden nach dem Beispiel Palästinas.

Martin