September 1994

Demoaufruf zum 3.Oktober: Krefelder Aufruf!

Verfassung mit Volksentscheid

Wir sind entsetzt über dieses seit vier Jahren wiedervereinigte" Deutschland. 6 Millionen Menschen sind faktisch ohne erwerbstätige Arbeit, eine Millionen Menschen haben keine Wohnung, die Zahl der Sozialhilfeempfängerinnen hat sich seit 1982 verdoppelt, die ökonomischen Belastungen der Einheit und die Folgen der Rezession werden auf die schwächsten Glieder der Gesellschaft abgewälzt. Menschen müssen fürchten, aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Nationalität oder ihres "Andersseins" bedroht, verfolgt oder gar ermordet zu werden. Gewalt ist verstärkt zum Instniment zur Durchsetzung von Interessen geworden und Ausdruck totalitärer Sehnsüchte einzelner. Die deutsche Politik steht vielfach im Wider- spruch zu den, ohnehin bescheidenen Versprechungen von Rio und anderswo zur Überwindung des Nord-Süd-Gefälles und des globalen ökologischen Selbstzerstörungsprozesses.

Wie sind angewidert von Affären, Verschwendungssucht und Selbstbedienung einiger Politiker. Mit Skandalen von den Parteispendenaffären bis hin zu Streibels Amigos wird Politik zum Sensationspool der Boulevardpresse abgewirtschaftet. Wir fühlen uns durch die parlamentarischen Gremien nicht ausreichend vertreten. Mit dem .Anspruch der Parteien auf das politische Monopol haben sie sich selbst in ein Versagensdilemma manövriert!

Wir sind empört darüber, wie die Bürgerinnen der Ostländer behandeltwerden. Ihnen wurden Versprechungen gemacht, die nicht eingehalten worden sind. Was "blüht" ist die Arbeitslosigkeit. Zum Teil mußten sie ihr Eigentum abgeben, weil die Eigentumsgarantie des Art.14 Grundgesetz zugunsten der Alteigentümer ausgelegt worden ist. Die Frauen in den Ostländem müssen es hinnehmen, nun durch den §218 in ihrer Selbstbestimmung wesentlich eingeschränkt zu werden. Einzig der "grüne Pfeil" ist geblieben.

Die Vorschläge zur Erneuerung der Verfassung des "Runden Tisches" der DDR, vom "demokratisch verfaßter Bund deutscher Länder" und die über 800.000 Eingaben von Bürgerinnen sind von der von Bundestag und Bundesrat gebildeten gemeinsamen Verfassungskommission (GVK) nicht berücksichtigt worden. Somit blieben die Ereignisse der GVK weit hinter dem Entwicklungsstand vieler Länderverfassungen zurück. Viele Chancen sind vertan worden, eine auch im Bewußtsein verankerte Einigung zu fördern. Für einen Neuanfang ist es nicht zu spät: Artikel 146 Grundgesetz: "Dieses Grundgesetz, das nach der Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."

Wir fordern den zukünftigen Bundestag auf einen Verfassungsrat mit Bürgerinnenbeteiligung einzusetzen. Dieser soll einen Verfassungsentwurf auf Grundlage des Grundgesetzes erstellen und dem deutschen Volk gemäß Artikel 146 Grundgesetz zur Verabschiedung vorlegen. Wir fordern, neben den drei Staatszielen Frauenförderung, Schutz der natürlichen Lebensgrundlage sowie der Achtung der Identität ethnischer und kultureller Minderheiten, auf die sich die GVK geeinigt hat, die folgenden Punkte in die neue Verfassung aufzunehmen:

1. Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen in Volksentscheiden und Volksbegehren auf Bundesebene.

2. Die Staatsziele Recht auf Arbeit, recht auf angemesseneil Wohnraum, Recht auf soziale Sicherheit, recht auf Bildung.

3. Ein Verbot der Herstellung und des Besitzes von Massenvernichtungswaffen wie Atomwaffen, biologische und chemische Waffen.

4. Grundrechte, die bisher nur deutschen Staatsangehörigen zustehen, müssen für alle Menschen, die seit fünf Jahren legal in Deutschland leben, gelten.

5.Ein allgemeines Diskriminisierungsverbot.

Wir wollen damit auch zu einer stärkeren demokratischen Mitwirkung beim Bau des europäischen Hauses beitragen.

Wir haben es satt Entscheidungen über unsere Köpfe hinweg hinzunehmen. Wir fühlen uns behandelt wie Menschen, die für vier Jahre entmündigt sind oder unter vorläufiger Vormundschaft stehen. Es genügt uns nicht alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen. In wichtigen fragen wollen wir direkt mitentscheiden können, so u.a. bei den zukünftigen Bundespräsidentinnenwahlen. Die Zeit ist reif für direkte Demokratie.

Es war der Mut und die Macht der solidarischen Bürgerinnen im Osten die den Obrigkeitsstaat zu Fall gebracht haben und nicht der "Kanzler der Einheit". Wir wollen daran anknüpfen und mit allen demokratisch gesinnten Bürgerinnen für eine Er- neuerung der politischen Grundwerte kämpfen. Dies werden wir am Tag der deutschen Einheit deutlich machen.

Verfassung, Maastricht und der Umzug nach Berlin wurden ohne uns entschieden!

Deshalb kommt zu den Montagsdemonstrationen am 3.Oktober 1994 nach Berlin, Hamburg, Köln, Leipzig oder München, für eine Verfassung mit Volksentscheid!