September 1994

"Ich wollte das westdeutsche System nicht einfach übernehmen."

Interview mit dem Bundestagsabgeordneten

Konrad Elmer

Der ehemalige Ostberliner Studentenpfarrer war Mitbegründer der SDP am 7.Oktober 1989 in Schwante. Konrad Eimer war Mitglied der ersten freigewählten Volkskammer der DDR und zog 1990 für den Wahlkreis Pankow/ Weißensee/ Hohenschönhausen in den Bundestag ein. Auch jetzt tritt er wieder zur Wahl an. RotDorn möchte Euch den linken Sozialdemokraten vorstellen.

RotDorn: Du gehörst zu den Mitbegründern der SDP am 7.10.1989 inSchwante, Warum hast Du Dich damals für die Neugründung der Sozialdemokratie engagiert und welche Ziele hattet Ihr damals? Es war ja in keiner Weise absehbar, daß die DDR so schnell untergehen würde.

Konrad Elmer: Es war schon immer meine Überzeugung, daß, wenn ich einmal einer Partei beitreten würde, es nur die von Willy Brandt sein könnte. Denn er hat uns mit seiner neuen Ostpolitik aus den Schützengräben des Kalten Krieges herausgerührt, und er hat mit dem Begriff der "Mitleidensfähigkeit" (compassion) den Begriff des Sozialen in Richtung einer sehr viel tieferen humanen Dimension erweitert. Ich entschloß' mich zum Schritt von der Bürgerbewegung zur Partei auch deshalb, weil ich von Anfang an der Meinung war, daß nur eine starke Organisationsstruktur der SED gewachsen sein könnte. Meine politischen Ziele sind aus dem unmittelbaren Erleben der Zerschlagung des Prager Frühlings 1968 erwachsen, d.h., ich möchte die Demokratie verstärken und durch die Einführung direkter Bürgerbeteiligung mit neuem Leben erfüllen. Ich trete für einen demokratischen Sozialismus ein, der die fundamentale Gleichheit aller Menschen anerkennt und deshalb alle Ungleichheiten m der Güterverteilung, für die es keine überzeugende Rechtfertigung gibt, als Verletzung der Menschenwürde bekämpft. Insofern wollte ich damals nicht einfach das westdeutsche System übernehmen, sondern einen noch gerechteren Weg des gesellschaftlichen Zusammenlebens suchen, um später für ganz Deutschland fruchtbar werden zu lassen.

RotDorn: Was hast Du in der letz ten Legislaturperiode geleistet?

Konrad Eimer: Nachdem ich zuerst den Grünen Pfeil für Rechtsabbieger retten konnte, habe ich mit anderen eine Mehrheit für die Hauptstadtentscheidung Berlin organisiert. Im Ausschuß Frauen und Jugend einen Gesetzentwurf zum 218 mit Fristenregelung erarbeitet sowie einen Antrag zur gleichen Dienstzeit für Wehr- und Zivildienstleistende. Im Ausschuß Deutsche Einheit haben wir unzählige Gesetze zur sozialeren Gestaltung des Einheitsprozesses erarbeitet, so z.B. zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, zum Schutz von Mietern, zur behutsameren Mietentwicklung in Ostdeutschland, insbesondere zur Mietpreisbindungin Berlin. Wir verlängerten die Wartefrist für Eigenbedarfskündigungen, forderten die Korrektur des Prinzips Rückgabe vor Entschädigung als Haupthindernis der wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Bundesländern, verlangten im Treuhandgesetz, den Sanieruugsauftrag vor den der Privatisierung zu setzen und forderten die Beseitigung von Obdachlosigkeit und Wohnungsnot. Doch das meiste wurde von der Regierungsmehrheit abgelehnt. Insbesondere aber erarbeitete ich in der Gemeinsamen Verfassungskommission einen Antrag zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid sowie für das Recht auf Arbeit, angemessenen Wohnraum und soziale Sicherheit. Vor allem aber versuchte ich Willy Brandts Anliegen zu entsprechen und die Begriffe "Mitmenschlichkeit" und "Gemeinsinn" in unserer Verfassung zu verankern.

RotDorn: Handelt es sich bei diesen Verbesserungen in der Verfassung nicht nur um schöne Worte von denen Keiner etwas hat?

Konrad Elmer: Die Verfassung kann sehr viel bewirken.Wegem dem kleinen Wörtchen "sozial" z.B.darf der Finanzminister in Zukunft das Existensminimum nicht mehr besteuern. Das kostet ihn 5 Milliarden DM - gegen seinen Willen und gegen den Willen der Koalitionsmehrheit des Parlaments. Und eben weil die Verfassung so vieles bewirken kann und eine Verfassungsänderung für die Regierenden weitreichende Konsequenzen haben könnte, haben die Konservativen ja auch fast alle unsere Vorschläge vom Tisch gestimmt.

RotDorn: Viele junge Männer werden mit dem Problem der Wehrpflicht konfrontiert. Auf der anderen Seite wird die Heeresstärke immer weiter verringert. Schon heute besteht eine akute Wehrungerechtigkeit, da gar nicht Alle für die Bundeswehr benötigt werden. Wirst Du Dich, im Falle Deiner Wahl für den Bundestag, für die Abschaffung der Wehrpflicht stark machen?

Konrad Elmer: Ich habe die ganzen 4 Jahre gegen die Wehrungerechtigkeit v.a. für die Zivildienstleistenden gekämpft und bin zu der Erkenntnis gelangt, daß das Problem nur durch die Abschaffung der Wehrpflicht gelößt werden kann, insbesondere wird die von uns geforderte Reduzierung der Bundeswehr nur mit einer Freiwilligenarmee möglich sein.

RotDorn: Könnte es zu einer Abschaffung der Wehrpflicht noch in der nächsten Legislaturperiode kommen?

Konrad Elmer: Ich denke ja, wenn es nur genügend Druck von der SPD-Basis gibt.

RotDorn: Du hast damals gegen den sogenannten Asylkompromiß gestimmt. Warum hast Du das getan und wie erklärst Du Dir den Verstoß der Bundestagsfraktion gegen den Parteitagsbeschluß der SPD (der sich gegen die Abschaffung des Asylrechts wandte)?

Konrad Elmer: Ich habe gegen den Asylkompromiß gestimmt, weil ich unseren östlichen Nachbarn nicht auch noch das Problem der schwierigen Einzelfallprüfungen aufladen wollte und nicht für eine Regelung stimmen konnte, bei der nicht auszuschließen ist. daß de facto doch einzelne Flüchtlinge zurück in ihr Herkunftsland und dort möglicherweise in den Tod geschicktwerden. Die Mehrheit der Bundestagsfraktion war offenbar der Meinung, daß wir ohne den Asylkoinpromiß keine Wahlen mehr gewinnen könnten.

RotDorn: Hat Dir das damalige Handeln der SPD im Bundstag nicht zudenken gegeben und Dein vollem Engagement in der Fraktion und in der SPD nicht schwieriger gemacht?

Konrad Elmer: Ja, aber Politik ist immer schwierig.

RotDorn: Ist es nicht Auffällig, daß die SPD immer wieder an den entscheidenen Fragen den Konservativen gegenüber nachgibt?

Konrad Elmer:Ja, aber ausder Opposition heraus ist ohne Kompromisse oft überhaupt nichts zu erreichen. Und manche wollen auch als Oppositiorispolitiker nicht mit leeren Händen nach Hause gehen.

RotDorn: Für welche Koalition wirst Du Dich Stark machen und warum?

Konrad Elmer: Zunächst ist unser Ziel,stärkste Fraktion im Bundestag zu werden. Danach werde ich mich für Rot- Grün stark machen, weil ich der Überzeugung bin, daß wir nur in dieser Konstellation unsere wesentlichen Ziele verwirklichen können und darüber unsere Partei wieder zui einer wirklich linken Volkspartei werden könnte.

Das Gespräch führte sk