Mai 1994

Erst hergeholt! Dann ausgebeutet! Jetzt abgeschoben?

Veranstaltung der Pankower Jusos zur Situation der vietnamesischen ehemaligen Vertragsarbeiter

Am 25.01.94 führten wir eine Diskussionsrunde über die Lebensbedingungen der Vietnamesen in Deutschland durch. Das einleitende Referat hielt ein freier Mitarbeiter der Tageszeitung "Junge Welt". Beeindruckt haben mich besonders die auf Band gesprochenen Berichte von vietnamesischen Heimbewohnern und des Hausmeisters über die unerträglichen Lebensbedingungen, die durch ständige Razzien der Polizei noch verschärf twerden. Diese Schilderungen gestalteten den Vortrag spannend, auch für die im Jugendklub anwe- senden Schüler. Während der Redner in seinem Vortrag äußerst eindringlich die momentanen Krimmalisierungen durch Institutionen und rassistische Polizisten schilderte, drehte sich die anschließende Diskussion hauptsächlich um die repressive Politik der DDR-Regierung im Umgang mit ausländischen Vertragsarbeitem. Vor der Wende wurden die Vietnamesen als billige Arbeitskräfte für 5 Jahre hergeholt, Frauen drohte bei Schwangerschaft die Abschiebung. Bei bestimmten Produkten wie Reis oder Fahrrädern durften sie nur festgelegte Mengen kaufen. Alles in allem zeigte sich hierbei die Phrasenhaftigkeit des Internationalismus der SED-Führung.

Heutzutage hat sich die Situation der ehemaligen Vertragsarbeiter weiter verschlechtert. Mit der Schließung oder Schrumpfung von Großbetrieben verloren auch sie ihre Arbeit und ein großer Teil von ihnen muß sein Leben durch illegale Zigarettengeschäfte und ähnliches fristen. Unabhängig von Nazi-Überfällen gibt es fast täglich Übergriffe durch Polizeiorgane. Die Schilderungen der Vietnamesen erinnerten stark an Meldungen über Militär- Terror in Chile oder der Türkei. Die geplanten Abschiebungen der vietnamesischen Menschen sind erst einmal bis Mitte des Jahres verschoben worden. Sowohl im Referat als auch bei der Diskussion kam zum Ausdruck, daß es unsere Aufgabe ist, alle antirassistisch eingestellten Menschen zur aktiven Solidarität mit von Abschiebung bedrohten ausländischen Mitbürgern zu gewinnen. Nur durch unser gemeinsames Engagement können diese Mißstände beseitigt und ein dauerhaftes Bleiberecht für Alle erreicht werden. Die Diskussionsrunde fand im Rahmen eines von uns mit gegründeten Pankower Anti-Nazi-Bündnisses statt. Das Bündnis besteht aus verschiedenen Parteien und Organisationen, die es sich zum Ziel gemacht haben, den Einfluß faschistischer Gruppen im Zeichen des Wahlkampfjahres '94 zurückzudrängen.

Jens