August 2002

 

 

 

Zivildienst – das kleinere Übel?

 

Viele sehen im Zivildienst eine wirkliche Alternative zum Kriegsdienst. Die Gründe hierfür scheinen auf der Hand zu liegen: Ein Zivildienstleistender trägt keine Uniform, wohnt nicht in der Kaserne und wird nicht zum Töten ausgebildet. Im Gegensatz zu dem eher auf Zerstörung ausgelegten Kriegsdienst verrichtet der Zivildienstleistende mehr oder weniger sinnvolle Tätigkeiten: Er pflegt hilfsbedürftige Menschen, kocht Essen in Kindergärten und leert den Briefkasten seiner Dienststelle. Dieses rührende Bild lebt von seiner Einseitigkeit. Es unterschlägt den Zwangscharakter des Zivildienstes ebenso wie dessen militärische Verplanung. Die Einschränkung der durch die Verfassung garantierten Grundrechte wird in dieser Vorstellung zusammen mit den negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt unter den Teppich gekehrt.

 

Zivildienst ist ein Zwangsdienst!

Laut § 2 Wehrpflichtgesetz wird die Wehrpflicht durch den Wehrdienst oder durch den Zivildienst erfüllt. Zivildienst ist damit prinzipiell die Erfüllung der Wehrpflicht, wenn auch mit anderen Aufgaben. Der Zivildienst wird nicht freiwillig geleistet, sondern aufgrund eines staatlichen Zwangs: Wer den Zivildienst nicht antritt, muß mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe rechnen.

Da sich der Zivildienst nicht auf die Freiwilligkeit der Verpflichteten verlassen kann, wird deren Bereitschaft zur Arbeit durch Herstellung von Disziplin gesichert. Deutlich wird dies zum Beispiel anhand des auch für Zivildienstleistende geltenden Gehorsamsprinzips: So ist der Zivildienstleistende wie der Soldat seinem Vorgesetzten zum Gehorsam verpflichtet. Kommt er dessen Weisungen nicht nach, so droht ihm gemäß § 54 Zivildienstgesetz (ZDG) Freiheitsentzug bis zu drei Jahren. Das gleiche Strafmaß droht demjenigen, der seiner Dienststelle länger als drei Tage unentschuldigt fernbleibt. Außerdem unterliegt jeder Zivildienstleistende auch nach Ableistung seines Dienstes der Zivildienstüberwachung. Das bedeutet, daß er im Verteidigungsfall zu unbefristetem Zwangsdienst herangezogen werden kann.

 

Zivildienst schränkt die Grundrechte Zivildienstleistender ein!

Bei Dienstantritt werden die wesentlichen Grundrechte Zivildienstleistender eingeschränkt. Dazu gehören nach § 80 ZDG: Die Freiheit der Person, die Freizügigkeit und die Unverletzlichkeit der Wohnung. Sogar das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird eingeschränkt. Und damit der Zivildienstleistende sich nicht beschweren kann, wird auch sein Petitionsrecht eingeschränkt. Außerdem sieht das Grundgesetz (Artikel 17a) zusätzlich die Einschränkung der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit vor. Damit ist dem Zivildienstleistenden jeder Protest gegen seinen Zwangsdienst von Anfang an verboten.

 

Zivildienst ist militärisch verplant!

Im Weißbuch von 1985 stellte die Bundeswehr ihren Entwurf der „Gesamtverteidigung“ der Öffentlichkeit vor. Gemeint ist damit ein Verteidigungskonzept, „in [dem] die Maßnahmen der militärischen und der zivilen Verteidigung unter gemeinsamer politischer Leitung eng miteinander verbunden sind.“ Die zivile Verteidigung – also die Verteidigung durch Zivilisten bzw. Zivildienstleistende – wird demnach fest in die Verteidigungsstrategie der Bundeswehr einbezogen. Die „gemeinsame politische Leitung“ stellt sich die Bundeswehr so vor: „Die Zusammenarbeit zwischen dem militärischen und zivilen Bereich läuft in erheblichen Umfang über die territorialen Kommandobehörden der Bundeswehr.“ Zivildienstleistende unterliegen damit faktisch im Verteidigungsfall der Befehlsgewalt der Bundeswehr.

Auch nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes hat die Gesamtverteidigung aus Sicht der Bundeswehr nicht an Aktualität verloren. 1994 heißt es im Weißbuch: „[Die Gesamtverteidigung] bleibt auch unter den veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen ein unverzichtbares Prinzip. (...) Angesichts des erweiterten Aufgaben- und Einsatzspektrums und geringerer Ressourcen werden die Streitkräfte verstärkt zivile Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen müssen.“

Aber nicht erst mit dem Verteidigungsfall beginnt der Schulterschluß von Zivildienstleistenden und Soldaten: Schon heute wird die zivilmilitärische-Zusammenarbeit maßgeblich vorbereitet: So „ist bereits im Frieden eine verantwortungsbewußte Zusammenarbeit zwischen den zuständigen zivilen und militärischen Dienststellen zu leisten, deren Bedeutung in der öffentlichen Betrachtung häufig unterschätzt wird.“ Ein Beispiel für die Verflechtung von militärischen und zivilen Einrichtungen sind die Kooperationsverträge zwischen der Bundeswehr und städtischen Krankenhäusern. Diese sehen unter anderem vor, militärisches Sanitätspersonal in zivilen Krankenhäusern auszubilden. Dies kann zur Folge haben, daß Zivildienstleistende in Zukunft auch Militärärzten unterstellt werden.

 

Zivildienst unterstützt im Krisenfall die Streitkräfte der Bundeswehr!

Zu den Aufgaben der zivilen Verteidigung gehören neben der Sicherstellung der Regierungsfunktionen und dem Schutz der Bevölkerung auch die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und sogar die direkte Unterstützung der Streitkräfte.

Die Einsatzgebiete für Zivildienstleistende sind bewußt sehr allgemein formuliert. Nur so ist es der Bundeswehr im Verteidigungsfall möglich, die indifferenten rechtlichen Rahmenbedingungen ganz nach ihrem Bedarf auszulegen und Zivildienstleistende zu jeder benötigten Arbeit heranzuziehen. Die einzige Einschränkung dabei ist in § 4 Abs. 3 Grundgesetz festgelegt, demzufolge anerkannte Kriegsdienstverweigerer nicht zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werden dürfen. Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß jeder zum Kriegsdienst ohne Waffe verpflichtet werden kann. Daß sich die Aufgaben für Zivildienstleistende im Verteidigungsfall nicht auf den Einsatz in Krankenhäusern beschränken - in denen sie dann natürlich u.a. Soldaten für die nächste Kampfhandlung gesundpflegen würden - geht aus einem Interview anno 1983 mit Dr. Heiner Geißler, damals Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, hervor: „ Das kann im Verteidigungsfall bedeuten, daß der Zivildienstleistende im Luftschutz oder Feuerlöschdienst und beim Blindgängerentschärfen eingesetzt würde.“ Aber auch Unterstützung bei der Mobilmachung und Logistik sind denkbare Einsatzgebiete. Seit den Ereignissen des 11. September ist die Verhängung des Verteidigungsfalls im Rahmen der NATO-Bündnispolitik kein Tabu mehr.

 

Zivildienst vernichtet Arbeitsplätze!

An sich sollte der Zivildienst arbeitsmarktneutral sein, d.h. ihr Einsatz darf weder zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führen noch die Einstellung von tariflich bezahlten Kräften verhindern. Da aber Zivildienstleistende oft Tätigkeiten übernehmen, die eigentlich von ausgebildeten Fachkräften ausgeübt werden müssen, und sie zudem von der Zivildienststelle wegen der geringeren Lohnkosten bevorzugt eingestellt werden, wirken sie unbeabsichtigt als „Jobkiller“. So kommt das Deutsche Rote Kreuz zu der Feststellung: „Durch den verstärkten Einsatz von Zivildienstleistenden wird es möglich sein, weitere Einsparungen bei den Personalausgaben zu erreichen.“ Die Folgen hiervon sind neben einer künstlich geschaffenen Arbeitslosigkeit im sozialen Bereich die Verschlechterung des Pflegeniveaus, worunter hauptsächlich die Pflegebedürftigen leiden.

Auch die weit verbreitete Annahme, ohne Zivildienstleistende bräche das soziale Netz zusammen, ist falsch. Tatsächlich wäre es volkswirtschaftlich betrachtet günstiger, den Zivildienst mitsamt des ihn verwaltenden Apparats einzusparen und anstelle von Zivildienstleistenden ausgebildete Fachkräfte einzustellen.

 

Alternative Totale Kriegsdienstverweigerung?

Wer angesichts der militärischen Verplanung des Zivildienstes, dessen Zwangscharakter oder der negativen Auswirkungen auf den sozialen Arbeitsmarkt an Sinn und Zweck des Zivildienstes Zweifel bekommen hat und sich über die Möglichkeiten der Totalen Kriegsdienstverweigerung, d.h. die nicht-legale Verweigerung sowohl des Kriegsdienstes mit der Waffe als auch des Kriegsdienstes ohne Waffe (Zivildienst), informieren möchte, kann sich gerne an die Kampagne wenden.

 

 

Sebastian Ehrentraut

 

 

www.kampagne.de