August 2002

 

 

 

Umverteilung von unten nach oben

 

Auszug aus dem gleichnamigen Kapitel von Oskar Lafontaines neuem Buch "Die Wut wächst". Der ehemalige SPD-Parteivorsitzende und Finanzminister, maßgeblich beteiligt am 98iger SPD-Wahlsieg,  trat im März 1999 von allen seinen politischen Ämtern zurück.

 

Ein ideales Instrument der Umverteilung ist der internationale Steuerwettbewerb. Er ist eine schlaue Idee der Besitzenden. Bei dem Steuerwettbewerb geht es darum, wer die niedrigsten, und damit attraktivsten Steuern für die Wohlhabenden hat. Beschönigend und die wahren Zusammenhänge verschleiernd wird gesagt, es gehe um das intelligenteste Steuersystem. Aber wie das immer so ist beim Wettbewerb, die Teilnehmer müssen die gleichen Chancen haben. Das ist bei den Steuerzahlern aber nur ein schöner Traum.

Die Reichen und Wohlhabenden sind flexibel und mobil. Das Volk ist unflexibel und heimatgebunden. Die Mobilität der Wohlhabenden besteht in Wohnsitzverlagerung, Firmensitzverlagerung, Eröffnung eines Kontos in Luxemburg oder in der Schweiz, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung. Der kleine Mann kann sich nicht eben mal eine Wohnung in Monaco oder in Andorra leisten, noch hat er einen Firmensitz auf den Kanalinseln, in Irland oder in Liechtenstein. So führt Steuerwettbewerb zu dem gewünschten Ergebnis. Die Reichen zahlen immer weniger, das Volk immer mehr. Damit das nicht so auffällt, heißt es, der Steuerwettbewerb diene der Wirtschaftsförderung. Nur ein Niedrigsteuerland, so die Lehre aller Neoliberalen, könne im internationalen Wettbewerb bestehen. Sie werden dabei sogar lyrisch. "Steuerland ist abgebrannt", dichtete die ewige Steuersenkungspartei FDP.

Die Umverteilungsmaschine Steuerwettbewerb läuft wie geschmiert. Am augenfälligsten war es bei der Vermögenssteuer. Sie ist allen, die viel haben, ein Dorn im Auge. Also behaupten sie, diese Steuer schade der Wirtschaft. Sie schrecke ausländische Investoren ab. Vor allem die heiß umworbenen amerikanischen Unternehmen. Dass die angelsächsischen Länder höhere Vermögenssteuern als die Europäer erheben, ist den Reformern scheinbar nicht bekannt. Also machte man sich auf, Steuererleichterungen für die Wohlhabenden durchzusetzen. Immerhin war eines der ersten Länder, das die Vermögenssteuer abschaffte, das damals sozialdemokratisch regierte Österreich. Die Leimrute war ausgelegt. Bald wurde gemeldet, dass Friedrich Karl Flick seinen Wohnsitz nach Österreich verlegt habe. Er ist heute mit einem geschätzten Vermögen von vier bis fünf Milliarden Euro der reichste Österreicher. Als er wegen einer Steuerbefreiung Politiker in Deutschland schmieren ließ, sprach man von der "gekauften Republik". Auch Tennisstar Michael Stich fand das österreichische Land bald so schön, dass er dort wohnen wollte. Die Regierung Kohl zog daraus den Schluss, auch Deutschland müsse die Vermögenssteuer abschaffen. Theo Waigel behauptete immer wieder, das Kapital sei ein "scheues Reh". Wenn dem scheuen Reh der Steuerjäger drohe, verlasse es fluchtartig das Land.

Eine Zeit lang hatte ich zusammen mit sozialdemokratischen Politikern versucht, die völlige Abschaffung der Vermögenssteuer zu verhindern. Wir schlugen vor, die Vermögenssteuer für Betriebe aufzuheben, für Private aber beizubehalten. Da bot ein Bundesverfassungsgerichtsurteil der Regierung Kohl die Möglichkeit, die Steuer ganz zu streichen. Diese Chance ließ sie sich nicht entgehen. Im Bundestagswahlkampf 1998 versprach die SPD, die Vermögenssteuer für Private wieder einzuführen. Da die Vermögenssteuer den Ländern zusteht, sollte über sie zusätzliches Geld für Schulen und Universitäten bereitgestellt werden. Ein glühender Anhänger dieser Idee war der frühere hessische Ministerpräsident Hans Eichel. Nach der Wahl bekam die rot-grüne Koalition Angst vor der eigenen Courage. Sie preschte in eine andere Richtung vor: Die deutsche Wirtschaft, vor allem die Großbetriebe, sollten vielmehr durch weitere großzügige Steuersenkungen wettbewerbsfähig gemacht werden. Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer hätte nicht mehr zum Image der "Reformregierung" Schröder gepasst.

 

Kaum war George W. Bush in Amerika als Präsident installiert, da erhielten die Steuerreformer in Deutschland eine frohe Botschaft. Das auf zehn Jahre befristete Steuersenkungspaket des amerikanischen Regenten umfasste nicht nur Erleichterungen bei der Einkommens-, sondern auch bei der Erbschaftssteuer. Das US-Steuergesetz senkte vom 1. Januar 2002 an die Erbschaftssteuer für Millionäre. Bis zum Jahr 2007 soll sie schrittweise von 55 auf 45 Prozent reduziert und nach dem 31. Dezember 2009 ganz abgeschafft werden. Da müsste es doch auch in Deutschland gelingen, nach Streichung der Vermögenssteuer auch die Erbschaftssteuer auf dem Altar des Neoliberalismus zu opfern. Immerhin hat das tägliche Trommeln der Steuersenker die Regierung Schröder davon abgehalten, die ursprünglich beabsichtigte leichte Erhöhung der Erbschaftssteuer Gesetz werden zu lassen.

Doch in Amerika ereignete sich etwas Seltsames und Seltenes: 500 Milliardäre und Millionäre wandten sich gegen die Pläne von Präsident Bush. Sie schrieben ihm: "Wenn die Erbschaftssteuer fällt, wird jemand anderes zahlen müssen." Ihrer Ansicht nach würde die Streichung dieser Steuer auch die hohen jährlichen Zuwendungen reicher Amerikaner an gemeinnützige Organisationen und Universitäten gefährden. Die Verfasser erklärten, sie hätten von der Unterstützung durch öffentliche Schulen, öffentliche Stipendien und öffentliche Forschungsgelder profitiert. Daher fühlten sie sich dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass diese Förderungen gewährleistet bleiben und auch andere daraus Nutzen ziehen können. Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehörten George Soros, David Rockefeller, Paul Newman, Bill Gates sen. und Frank Roosevelt. "Umverteilung darf nicht von der sozialdemokratischen Tagesordnung genommen werden. Die Erbschaftssteuer sollte hoch sein, damit nicht zu viele Privilegien weitergegeben werden können", mahnte auch Anthony Giddens, der Vordenker der britischen Labour Party. Aber in diesem Punkt folgen ihm weder Tony Blair noch Gerhard Schröder, noch die anderen Modernisierer in Europas sozialdemokratischen Parteien.

Da in Deutschland aber nicht nur Vermögens- und Erbschaftssteuern, sondern auch Einkommenssteuern gezahlt werden müssen, reichte die Abschaffung der Vermögenssteuer nicht, um Wohlhabende im Land zu halten. So verlegten unter anderem Spitzensportler und Größen aus dem Showgeschäft ihren Wohnsitz ins Ausland. Ein Beispiel sind die Schumi-Brüder. Wie sehr wir Veranlassung hätten, über die Verfassung der Bundesrepublik nachzudenken, kann man daran sehen, dass berühmte Steuerflüchtlinge in Deutschland als Nationalhelden verehrt werden. Hier wäre ein Ansatz für diejenigen, die nach einer deutschen Leitkultur suchen. "Üb immer Treu und Redlichkeit" ist ein Ausspruch, den man als typisch deutsch bezeichnet. Aber nachdem gekonnte Steuervermeidung und Steuerhinterziehung für viele zum Sport wurden, heißt es heute: "Der Ehrliche ist der Dumme".(...)

Diese Umverteilungsmaschine, die zur Erosion der staatlichen Steuerbasis führt, kann man nur stoppen, wenn in Europa für alle Mitgliedsstaaten verbindliche Mindeststeuersätze eingeführt werden. Als ich diesen Vorschlag machte, und dazu wohl noch den Eindruck  erweckte, ich meinte das als Finanzminister ernst, da war in England die Hölle los. Die Labour-Regierung äußerte ihr Unverständnis für solch unausgewogene Vorschläge. Die "Sun" erklärte mich zum "most dangerous man of Europe", zum gefährlichsten Mann Europas. Das Boulevardblatt gehört, wie auch viele andere englische Zeitungen, Rupert Murdoch. Die Cambridge-Dozentin und Globalisierungsaktivistin Noreena Hertz weist in ihrem Buch "Wir lassen uns nicht kaufen!" darauf hin, dass Murdochs News Corporation weltweit nur sechs Prozent Steuern auf ihren Gewinn zahle. Zudem habe das Unternehmen in Großbritannien bis Ende 1999 überhaupt keine Körperschaftssteuern entrichtet, obwohl es dort seit 1987 Gewinne von weit über zwei Milliarden Euro erwirtschaftet habe.