November 2001
Terrorismusbekämpfung mit
Krieg?
Auszüge
aus einem Vortrag von Professor Dr. Ulrich Gottstein, Ehrenvorstandsmitglied
der "Ärzte zur Verhütung von Atomkriegen-IPPNW" am 22. Oktober 2001.
Niemand bestreitet heute noch, weder die USA noch unsere
rot-grüne Regierung, dass ein richtiger Krieg in Afganistan geführt wird, nicht
eine Polizeiaktion zur Ergreifung der gemeinen Verbrecher. Es wird mit modernsten
Waffensystemen gekämpft, ausgehend von einer Armada von Kriegsschiffen und
Hunderten von Kriegsflugzeigen der verschiedensten Art, einer Armee von
Soldaten auf den Schiffen sowie im benachbarten Usbekistan. Die teuersten
Raketen haben einen Stückpreis von 1-2 Millionen Dollar, also 2 bis 4 Millionen
DM – wie viel Gutes könnte für die arme Bevölkerung mit dem vielen Geld getan
werden. Daneben werden ordinäre Bomben und von den Genfer Konventionen
verbotene Splitterbomben eingesetzt. Dies alles ist keine Aktion gegen eine
Terroristengruppe, sondern ein Krieg, von dem Präsident George W. Bush schon
mehrfach sagte, "we will win".Aber was werden wir gewinnen, die USA
und unsere bundesdeutsche militärische Solidarität, das bleibt die große Frage?
Dass Terrorismus in dieser schrecklichen Form des
11.Septembers erfolgreich besiegt werde, ist zwar unser aller Hoffnung, glauben
können wir das leider nicht. Viel größer ist die Hoffnung in unserem Volk und
weltweit, dass mit den neuen Sicherheitsmaßnahmen brutale Flugzeugentführungen
und Terrorangriffe verhindert werden und dass nicht unsere Befürchtung wahr
werde, dieser "Krieg der Überheblichkeit", wie in arabischen Ländern
bezeichnet, werde zu weiteren schrecklichen Selbstmordattentaten geradezu
provozieren.
Als ich vor wenigen Wochen wieder aus humanitären
Gründen im Irak war, erfuhr ich in vielen privaten Gesprächen, wie abgrundtief
der Zorn gegen die Politik der USA ist. Meine Gesprächspartner waren keine Anhänger
oder Privilegierte des irakischen Regimes, sondern weitgehend unreligiöse Chef-
und andere Klinikärzte, fließend englisch sprechend, zum Teil mit englischen
oder deutschen Facharztdiplomen. Einer sagte mir in seinem großen Pessimismus,
er würde sich am liebsten eine kleine Atombombe an den Leib schnallen lassen
und sich über dem White House in den USA abwerfen lassen. Natürlich war das in
jener Zeit vor dem 11.September eine naive, völlig unrealistische Aussage, von
einem Großvater, der verzweifelt war über das Schicksal seiner Kinder und
Enkel, die wegen der Schuld des Diktators Saddam Hussein mit unbarmherzigen
Sanktionen bestraft werden, ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Immer
wieder die Frage: "Was können wir und unsere Familien dafür, dass 1990 die
irakische Armee in Kuwait einmarschierte?" Und dann die Analyse: "Den
USA ist es völlig egal, dass wir aus unserem früheren Wohlstand zu einem Land
im Elend geworden sind, dass bereits 1,5 Millionen Bürger als Folge der
Sanktionen gestorben sind, darunter knapp 600 000 Kleinkinder. In Wirklichkeit
geht es den USA nur um politischen Einfluss in der Golfregion, nämlich um das
Öl."
Es ist also ein Hass auch in der gebildeten
Bevölkerung entstanden, die applaudieren würde, wenn in der Tat eine Atombombe
auf das Weiße Haus in Washington geworfen würde, und nicht nur die Menschen
Iraks, sondern weltweit in den Entwicklungsländern würde eine klammheimliche
Freude verspüren. Das ist doch eine schreckliche, furchterregende Vision!
Man weiß in den arabischen Ländern, dass die USA und
die NATO-Regierungen sich einerseits gegen Atomwaffen und Biologische und
Chemische Waffen aussprechen, somit natürlich auch gegen Milzbrand, aber
gleichzeitig diese Waffen besitzen und sogar weiter herstellen. Wir empfinden
es als tragisch, dass unsere engen Freunde und Verbündeten, also die USA, zwar
die UN-Konventionen gegen Biologische Waffen unterschrieben, aber nicht das
Überprüfungsprotokoll. Auch kürzlich haben sich die USA erneut gegen
UN-Überprüfungen ausgesprochen, mit der fadenscheinigen Argumentation, dass die
USA sonst wirtschaftlichen Schaden nehmen würde, wenn ihre Labors kontrolliert
werden könnten.
Man muss weiterhin wissen, dass die USA und mehrere
NATO-Staaten, so auch Deutschland, der sogenannten Nuklearklausel in den
"Genfer Konventionen zum Schutz der Bevölkerung im Kriegsfall"
zugestimmt haben, der zufolge Atomwaffen nicht als
Massenvernichtungswaffen zu gelten hätten, die im Kriegsfall nicht eingesetzt
werden dürften. Als der Weltgerichtshof in Den Haag vor wenigen Jahren
...darüber zu urteilen hatte, ob mit Atomwaffen gedroht oder sie im Kriegsfall
eingesetzt werden dürften, haben die Vertreter der USA massiv dagegen
opponiert.
Ist es da eine Utopie, wenn unsere internationale
Ärztebewegung IPPNW warnt, dass es bei Fortsetzung der Politik und der
NATO-Doktrin noch in unserer Generation oder der unserer Kinder zum Einsatz von
Atomwaffen kommen wird? Atomwaffen können in einer Aktentasche zum Ort des
gewünschten Einsatzes gebracht werden, es gibt Hunderte solcher
"mini-nukes" in den Atomwaffenländern, zu denen ja nicht nur die Großmächte,
sondern auch Israel, Indien, Pakistan, also kriegsgeschüttelte Nationen
gehören. Wie leicht könnte eine solche "mini-nuke" auf den
"Feind" oder auf "feindliche Atomkraftwerke" geworfen
werden! Es ist höchste Zeit, dass die Produktion, Testung sowie Drohung des
Einsatzes von Atomwaffen verboten werden, somit auch die NATO-Doktrin der
"nuclear deterrence" (nukleare Abschreckung) abgeschafft wird!...
Terror kann man nicht mit Krieg ausschalten. Krieg
bringt immer wieder neuen Hass und Krieg in verschiedenen Formen. Das haben wir
an den 250 Kriegen seit 1945 beobachten müssen. Der Ruf nach "Auge um
Auge, Zahn um Zahn" im Alten Testament wurde von Mahatma Gandhi in einer
Zeit der großen Konflikte, aber auch für unsere Zeit gültig, so kommentiert:
"Auge um Auge macht blind."...
aus "Junge Kirche" S.55-56, 6/01