August 2002 

 

Ariel Sharon – ein Mann der Siedler an der Macht

 

Ariel Sharon, eigentlich Ariel Scheinerman, wurde 1928 in Kfar Malal bei Tel Aviv geboren. Er wuchs in einer landwirtschaftlichen Genossenschaft jüdischer Einwanderer auf und trat in seiner Jugend schon der Haganah (der jüdischen paramilitärischen Untergrundorganisation während der britischen Mandatszeit) bei. In den fünfziger Jahren studierte er in Jerusalem und Tel Aviv Geschichte, Orientalistik und Jura und besuchte die britische Militärakademie Camberley Staff College.

1953 gründete Sharon die Unit 101, eine Eliteeinheit, die auf Vergeltungsschläge gegen palästinensische Fedayinübergriffe spezialisiert war. Die Einheit griff u.a. das jordanische Dorf Qibya an, wobei über 60 Zivilisten starben.

Seit dieser Zeit machte er in der israelischen Armee Karriere. 1973 quitierte er kurzfristig den Armeedienst, nachdem er seine Chancen, jemals zum Oberbefehlshaber zu avancieren, realistischerweise als sehr gering einschätzte. Zwar diente er in allen Kriegen und galt als geschickter Taktiker, doch wurden gegen ihn auch mehrere Disziplinarverfahren geführt.

Im gleichen Jahr begann seine politische Karriere. Er wurde als Abgeordneter des konservativen Likud-Blocks in die Knesset (israelisches Parlament) gewählt. Seine Bindung an den Likud-Block war jedoch nicht stark und er verließ das Parlament und das Parteienbündnis um bei Ministerpräsident Rabin (israelische Arbeitspartei) von 1975-77 Sicherheitsberater zu werden.

Als Landwirtschaftsminister und Vorsitzender des Ministerialkomitees für jüdische Siedlungen in den besetzten Gebieten trat er dem Kabinett von Menachem Begin (Likud-Block) bei. In dieser Position unterstützte er die religiös-orthodoxen Siedler von Gush Emunim (Block der Getreuen), die nicht allein eine Siedlerorganisation, sondern auch eine religiöse Erweckungsbewegung, eine zionistische Gemeinschaft, eine Interessengruppierung und eine Verwaltungsbehörde in den besetzten Gebieten darstellt. Die Bedeutung dieser Siedlerorganisation besteht aber vor allem darin, die Trennung zwischen traditionell religiösen und säkularen nationalen Lager in der Politik zu durchbrechen. Der radikale Kern versucht die palästinensisch besiedelten Landstriche durch viele kleine jüdische Siedlungen zu durchsetzen und die rechte Parteienlandschaft an sich zu binden, um sie auf eine ganz Palästina umfassende Politik eines "Groß-Israel" festzulegen.

Obwohl Sharon selbst nicht religiös ist, unterstützte er diese religiös-orthodoxe, man könnte auch sagen fundamentalistische Position und hat als Knessetabgeordneter schon 1973 den Sharon-Plan vorgelegt: die Annexion der besetzten Gebiete unter Auslassung palästinensischer städtischer Ballungsgebiete. Zu diesem Zweck propagierte er den Ausbau eines dichten, flächendeckenden Siedlungsnetzes.

In der zweiten Amtszeit von Begin (1981-84) wurde er Verteidigungsminister und leitete die Invasion in den Libanon, die sich durch Lebensmittelembargo und Bombardierung Beiruts auszeichnete. Seine Truppen hatten u.a. das Hauptquartier der PLO von Arafat umstellt; nur auf Druck der USA musste Sharon den palästinensischen Führern freies Geleit einräumen und die PLO-Leitung wurde nach Tripolis verlegt. Indirekt war er auch für die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern am Rande Beiruts Sabra und Shatila im September 1982 verantwortlich. 800 oder mehr (israelische und palästinensiche Quellen geben unterschiedliche Zahlen an) Menschen wurden von christlich-libanesischen Milizen ermordet. Es waren israelische Soldaten die mit Einwilligung Sharons den Milizen den Zugang zu den Flüchtlingslagern ermöglichten. Durch die Aufklärungsarbeit einer unabhängigen Untersuchungskommission, die Sharon mitverantwortlich machte, musste er als Verteidigungsminister zurücktreten. Als Minister ohne Geschäftsbereich blieb er jedoch im Kabinett Begin. Seiner weiteren politischen Karriere tat der Bericht der Kahan-Kommission keinen Abbruch.

In der Regierung der "nationalen Einheit" (israelische große Koalition) ernannte ihn Shimon Peres 1984 zum Handels- und Industrieminister, später wurde er Bauminister und so erneut für den Siedlungsbau verantwortlich.

Schließlich kreierte Netanyahu (Likud-Block) in seiner rechtskonservativen Regierung speziell für ihn 1996 das Nationale Infrastrukturministerium, dessen Aufgabe es war, den Siedlungsbau voranzutreiben. Zwei Jahre danach wurde Sharon sogar zum Außenminister ernannt, um den Forderungen der rechtesten Kreise innerhalb von Netanyahus Koalition gerecht zu werden. Im September 1999 schlug er den viel jüngeren Rechtspopulisten mit Ministerpräsidentenbonus Netanyahu und wurde zum neuen Parteivorsitzenden des Likud-Blocks gewählt. Ein sicheres Anzeichen für einen weiteren Rechtsruck innerhalb des konservativen Bündnisses.

Sharon, ein Meister der politischen Provokation wie beispielsweise sein Wohnsitz im arabischen Ostjerusalem zeigte, der rund um die Uhr bewacht werden musste, besuchte demonstrativ während der Geheimverhandlungen um den Status Jerusalems (Camp David II), Ende September 2000 den Tempelberg, auf dem das moslemische Heiligtum, die Al-Aqsa-Moschee steht, und löste dadurch die Al-Aqsa-Intifada aus. Daraufhin führte Barak (Arbeitspartei) im Oktober Verhandlungen mit der rechtsgerichteten Opposition zur Bildung einer Notstandsregierung. Diese Verhandlungen verliefen jedoch erfolglos; statt dessen kündigte Barak im Dezember überraschend seinen Rücktritt an, stellte sich jedoch gleichzeitig wieder als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten bei den kommenden Neuwahlen zur Verfügung.

Likud-Führer Sharon konnte sich wiederum gegen Netanyahu durchsetzen und gab bekannt, bei den Wahlen im Februar 2001 gegen Ehud Barak zu kandidieren. Die rechte Opposition unter Sharon ließ Ende Dezember 2000 verlauten, ein Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern nicht anzuerkennen, sollte es die Teilung Jerusalems und die Aufgabe der israelischen Souveränität über den Tempelberg beinhalten. Unter einem Ministerpräsidenten Sharon würde außerdem keine einzige israelische Siedlung in den besetzten Gebieten abgebaut werden, gäbe es kein palästinensisches Rückkehrrecht für die Flüchtlinge und würde das Westjordanland effektiv in drei "Homelands" unterteilt, wobei das Grenzgebiet zu Jordanien aus Sicherheitsgründen unter israelischer Hoheit verbleiben solle.

Obwohl die Wahrscheinlichkeit gegen null tendiert, auf dieser Basis einen umfassenden und gerechten Frieden mit den Palästinensern schließen zu können, erzielte Sharon bei den vorgezogenen Wahlen im Februar 2001 einen erdrutschartigen Sieg mit einem Vorsprung von über 20% vor Ehud Barak. Die Wahlbeteiligung von 62% war die geringste in der Geschichte Israels.

Der von Sharon seit März 2001 geführten Koalitionsregierung der nationalen Einheit gehören neben dem Likud, der Arbeits- und der Zentrumspartei vor allem rechts-nationalreligiöse Parteien an. Sharon ist trotz – oder gerade wegen – seiner Politik ein Populist, der es vermag, das extrem rechte, nationalistische und das orthodox-religiöse Spektrum in Israel für sich zu gewinnen. Der Frieden wird wohl unter diesem Manne noch auf sich warten lassen!

                                                                      

Klaus Körner

 

 

Informationen vor allem aus: Nahost Lexikon, Heidelberg 2001