Afghanistan
Land ohne Hoffnung, Krieg ohne Ende

Der Artikel will durch die Darstellung der letzten 90 Jahre afghanischer Geschichte die Komplexität und Vielschichtigkeit des „afghanischen Problems“ deutlich machen. Das Land ist Jahrhunderte lang durch die um Vorherrschaft streitenden, ethnischen und religiösen Gruppen im Innern geprägt und durch die  geopolitischen Interessen der Großmächte und Nachbarstaten zerrüttet. Krieg und Bürgerkrieg sind Produkt der Welt- und Regionalgeschichte.

Das Mine Action Center, eine Institution der Vereinten Nationen, geht davon aus, dass es mindestens zwanzig Jahre dauern würde, ehe Afghanistan von Minen geräumt sein wird, vorausgesetzt, es werden keine neuen Minenfelder mehr angelegt. Bis dahin werden täglich Menschen, insbesondere Frauen und Kinder auf dem Land, ihr Leben oder ihre Gesundheit durch explodierende Sprengkörper verlieren. Ob die Zivilbevölkerung Opfer amerikanischer, deutscher, französischer oder russischer Sprengwaffen wird, ist den Hinterbliebenen und Verstümmelten gleichgültig, den konkurrierenden Rüstungskonzernen jedoch nicht, denn jede neue Mine bedeutet Profit.

Einige Daten zu Afghanistan
Dieses über 30 Jahre durch Krieg und Bürgerkrieg geschundene Land ist etwa doppelt so groß wie Deutschland (652 090 qkm), hat aber nur ein Drittel an Einwohnern wie die Bundesrepublik. Weniger als 10% der Landesfläche liegen unterhalb von 600m über dem Meeresspiegel. Die Gebirge des Hindukusch (bis zu 7.500m hoch) und des Sefid Kuh erstrecken sich über weite Teile des Landes. Rund 75% der etwa 25 Millionen Afghanen leben auf dem Lande. Nur sechs Städte haben mehr als hunderttausend Einwohner, davon der Großraum der Hauptstadt Kabul allein 5 Millionen.
Viele Ethnien und Volksstämme siedelten vor Jahrhunderten in den fruchtbaren Hochgebirgstälern und Hochebenen Afghanistans. Die größte und historisch bedeutendste Volksgruppe sind die Paschtunen, historisch „Afghanen“, die Namensgeber des Landes. Man zählt rund die Hälfte der Bevölkerung zu dieser Volksgruppe, darunter auch die afghanischen Nomadenstämme. Die Tadschiken sind die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe (rund ein Viertel). Sie stellen im engeren Sinne keine Ethnie dar, sondern sind ein Sammelbegriff für die persischsprachige Bevölkerung sunnitischen Glaubens im Westen und Norden Afghanistans. Sie stellen meist die Mehrheit der Einwohner in den Städten. Der Volksstamm der Hazara (ca.10% der Afghanen) spricht ebenfalls persisch, aber ist schiitischen Glaubens wie die meisten Iraner. Daneben siedelten auch viele Turkvölker, wie Usbeken, Turkmenen, Aimaken, Kirgisen und andere kleine Volksstämme mit ihren eigenen Sprachen auf afghanischem Gebiet. Das Land gehört zu den ärmsten der Welt, obwohl es reich an Bodenschätzen ist. Kupfer, Eisenerze und seltene Stoffe wie Lithium findet man im afghanischem Boden. Mit ihren kostbaren Teppichen und Textilien befinden sich die Afghanen schon Jahrhunderte auf dem Weltmarkt.

Ein Blick in die Geschichte
Afghanistan ist schon Jahrhunderte lang von den jeweiligen Großmächten als wichtiges strategisches Einflussgebiet betrachtet worden. Das osmanische Reich, das zaristische Russland, das britische Empire, sie alle wollten in Afghanistan Fuß fassen. Großbritannien führte zwei relativ erfolglose Eroberungskriege, um Afghanistan zu seiner Kolonie zu machen.
Seit dem Ende des zweiten britisch-afghanischen Krieges 1881 war Afghanistan mit seinen damals rund 5 Millionen Einwohnern britisches Protektorat. Afghanische Politik wurde von London aus betrieben und das Emirat, als eine schwache Zentralmacht, wurde durch die Briten finanziell und militärisch am Leben erhalten. Das Herrscherhaus wollte keine ausländischen Berater, keine ausländischen Fachleute im Land. So wurde die relative innere Selbständigkeit mit wirtschaftlicher und technischer Rückständigkeit erkauft.
Das arme Land mit den steilen Bergketten und Pässen des Hindukusch wurde von den einzelnen Ethnien in ihren Stammesgebieten so gut wie selbständig regiert. In der Hauptstadt Kabul herrschte, wie gegenwärtig noch, der Stamm der Paschtunen, der auch die Emire stellte. Die Paschtunen versuchten oft vergeblich, sich die anderen Stämme Untertan zu machen.
1919 wurde der Emir auf der Jagd erschossen und sein jüngster Sohn erlangte handstreichartig den „Königsthron“. Kaum an der Macht, erklärte der junge Emir Amanullah gegenüber dem englischen Vizekönig die Unabhängigkeit Afghanistans. Nach kurzen Kampfhandlungen zogen sich die Briten kriegsmüde aus Afghanistan zurück und Emir Amanullah wurde dadurch zum Volkshelden.

Die ersten Reformversuche
In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts versuchte Amanullah mit Hilfe eines ehrgeizigen Reformprogramms die mittelalterliche Stammesgesellschaft seines Emirates zu einem modernen Staat umzugestalten. Er schaffte die Sklaverei ab, gab dem Land erstmals eine Verfassung und führte für die afghanischen Stämme die Steuerpflicht ein. Amanullah sorgte für die Trennung von Religion und Staat und für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Überall wurden in dieser Zeit Schulen gebaut. Die Jung-Afghanen, wie sich die Reformer nannten, wollten, ähnlich wie in Ägypten die islamische Reformbewegung dieser Zeit, auf dem religiösen Fundament aufbauend, europäische Bildung, Wissenschaft und Technik nach Afghanistan holen. Amanullah und seine Reformer schauten jedoch nicht allein nach Europa, sondern beobachteten sehr genau die Reformen Atatürks in der aus dem osmanischen Reich hervorgegangenen Türkei und die Reformbemühungen Reza Schahs in Persien.
1927/28 besuchte das Herrscherpaar Europa. Der Zweck der Reise sollte vor allem darin bestehen, politische und wirtschaftliche Kontakte für die Modernisierung Afghanistans zu knüpfen. Der König besichtigte Fabrikanlagen, Schulen, Feuerwehrstützpunkte und Wohlfahrtsanstalten. Er studierte geradezu das öffentliche Leben der Länder, deren Gäste seine Gemahlin und er waren.
Nach der Rückkehr aus Europa wurde die Neuorganisation des Militärs und des Unterrichtswesens veranlasst. In einem Gespräch im engsten Regierungskreis stellte der Emir 1928 fest, dass Großbritannien der natürliche Gegner und Sowjetrussland der natürliche Freund Afghanistans sei.
Amanullah Chan verbot das Tragen der Burka und erlaubte den Frauen, ohne Schleier in der Öffentlichkeit zu wirken. Leidenschaftlich geißelte er die Rückständigkeit fanatischer Mullahs. Seine Frau Soraya tritt als gläubige Muslimin in der Öffentlichkeit für die Rechte der islamischen Frauen ein: „Ihr afghanischen Frauen repräsentiert 50 Prozent der Bevölkerung dieses Landes. Aber dennoch werdet Ihr in eurem eigenen Land kaum beachtet. Ihr müsst Euch emanzipieren, ihr müsst Lesen und Schreiben lernen, ihr müsst an den Ereignissen in eurem geliebten Heimatland teilnehmen!“ (aus: Feature, Deutschlandfunk. 26.12.09, 12.10 Uhr)

Das vorläufige Ende der Reformen
Schon im November 1928, knapp vier Monate nach Amanullahs Rückkehr nach Afghanistan, erhob sich der Stamm der Shinwari gegen das Herrscherpaar, plünderte die Winterresidenz des Königs in Djalalabad und tötete Hunderte von königstreuen Soldaten. Der Aufstand breitete sich schnell unter der Führung eines ungebildeten, aber streng gläubigen tadschikischen Stammesfürsten aus. Der Emir sah sich gezwungen, einen Großteil seiner Reformgesetze öffentlich zurückzunehmen.
Auch wenn die Stammesführer und Mullahs, die ihre Autonomie und ihre Pfründen durch die königlichen Reformen beschnitten sahen, den Aufstand unterstützten, wäre dieser ohne das Geld und die Waffen der englischen Krone beherrschbar gewesen. So jedoch musste der Reformkönig Amanullah Anfang 1929 zurücktreten. Eine Gewaltwelle überflutete das Land, Schulen, Hospitäler und Königspaläste gingen in Flammen auf. Erst vier Jahre später kam das Land wieder zu einer relativen Stabilität.

Ein neuer Aufbruch
Mehr als zwanzig Jahre herrschte zwischen dem neuen König, dem Sohn eines Putschgenerals aus paschtunischem Herrscherhaus, und den Stammesführern der vielen Volksgruppen ein Machtgleichgewicht und dadurch bedingt ein Reformstau.
Als 1933 der 19jährige Sahir Schah zum König erklärt wurde, übernahmen eigentlich die Brüder seines Vaters als seine Ministerpräsidenten die Herrschaft. Erst in den fünfziger und sechziger Jahren befreite sich der in Frankreich ausgebildete König vom Einfluss seiner mächtigen Familienältesten und holte sowjetische Spezialisten ins Land, um die mittelalterliche Infrastruktur zu überwinden. Außenpolitisch hielt sich Sahir Schah immer stärker an Sowjetrussland. Er zeigte sich vom Westen enttäuscht, aufgrund der Weigerung Pakistans und seiner Schutzmacht Großbritannien, die willkürliche koloniale Grenzziehung der Briten im 19. Jahrhundert zwischen Afghanistan und der Kronkolonie Indien, mitten durch das Stammesgebiet der Paschtunen, im Sinne Afghanistans zu revidieren.
1964 ließ Sahir Schah die Loja Dschirga (große Ratsversammlung) eine neue Verfassung verabschieden, die zum ersten Mal Parteien erlaubte und das Land in eine konstitutionelle Monarchie umwandeln sollte. Frauen durften wieder Schulen besuchen und erhielten das Wahlrecht.
Während im Sommer 1973 der König zu einer Kur in Italien weilte, putschte sein Cousin Mohammed Daoud Khan unblutig mit Hilfe der Militärs und rief die Republik aus. Selbst ernannte er sich zum Präsidenten.

 

Auf dem Weg zum Einparteienstaat
Daoud Khan wurde politisch am Beginn seiner Regierungszeit von der kommunistischen Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA,die als Kommunistische Partei erst 1978 von den Bruderparteien anerkannt wurde) unterstützt, deren Mitglied der „Paschtunenfürst“ selbst war. Seine Regierung baute zuerst auf die Unterstützung der Sowjetunion, jedoch rückte Daoud Khan bald von diesem Bündnis ab und wandte sich eher Ägypten, Saudi- Arabien und dem Schahregime im Iran zu. Mit Hilfe des persischen Schahs und den USA konnte er auch den Grenzstreit mit Pakistan beilegen.
1976 gründete Daoud Khan seine eigene Partei und ließ ein Jahr später die Loja Dschirga, eine neue Verfassung verabschieden, die Afghanistan in einen Einparteienstaat verwandelte. Dies führte zum Verbot der Kommunistischen Partei (DVPA). 1978, anlässlich der Beerdigung eines ermordeten, paschtunischen Führers demonstrierten mehr als 10 000 Menschen gegen den Präsidenten Daoud Khan und seine Regierung. Daraufhin wurden die Führer der DVPA inhaftiert.

Der Staatsstreich von 1978
Viele afghanische Offiziere erhielten in der Sowjetunion ihre Ausbildung und standen deshalb der DVPA nahe. Angesichts der nach den Demonstrationen einsetzenden Verhaftungen von kommunistischen Funktionären entstand in der Armee Unruhe. Teile des Heeres und die Luftwaffe griffen am 27. April 1978 regierungstreue Truppen an und besetzten das Regierungsviertel von Kabul. Deshalb spricht man auch von der „April-Revolution“. Daoud Khan und der größte Teil seiner Familie wurden gefangen genommen und einen Tag später erschossen. Offiziell hieß es, er sei aus „gesundheitlichen Gründen“ zurückgetreten. Einer der bis dahin in Haft befindlichen kommunistischen Parteiführer des dogmatischen Flügels, der Journalist Nur Muhammad Taraki wurde zum Vorsitzenden des Revolutionsrates und zum Ministerpräsidenten ausgerufen. Mit Hafizullah Amin, den er zum Chef des Geheimdienstes machte und Babrak Karmal, der stellvertretender Ministerpräsident wurde, begann Taraki eine radikale Umgestaltung und Modernisierung des Landes, die endlich die alten Machtverhältnisse aufbrechen sollten. Es galt die anachronistischen Sozialstrukturen (etwa 90% der Bevölkerung waren Analphabeten) und einen inkompetenten Verwaltungsapparat zu reformieren. Der britische „Independent“ schrieb: „Wenn jemals ein Land eine Revolution nötig hatte, dann war es Afghanistan!“
Die „Revolutionsregierung“ führte eine Bodenreform durch, verkündete die Gleichbehandlung der Ethnien, die Frauenemanzipation und die Schulbildung für alle. Das Reformprogramm sorgte auch für die Trennung von staatlicher Gewalt und religiöser Macht der Mullahs. Jedoch die allgegenwärtige Korruption im Staate blieb an der Tagesordnung.
Gegen diesen Land- und Machtverlust organisierten die bislang privilegierten Stammesführer und die religiösen Fanatiker (Islamisten) Widerstand und es bildeten sich in kurzer Zeit mit ausländischer Hilfe über 30 bewaffnete Mudschaheddin-Gruppen in dem unwegsamen Land. Man rief den heiligen Krieg gegen ein atheistisches, von Moskau gelenktes kommunistisches Regime aus. Zunehmend herrschten Einschüchterung, Gewalt und Unterversorgung im Land. Der 65jährige Taraki ernannte den 16 Jahre jüngeren, und für seinen harten Führungsstil bekannten Hafizullah Amin zum Regierungschef.
Der in der Nähe Kabuls geborene Paschtune Hafizullah Amin studierte und promovierte in den USA und wurde Ende der sechziger Jahre einer der Führer der streng leninistischen Fraktion der DVPA. Als einer der entscheidenden Drahtzieher des Staatsstreiches strebte er mit aller Macht danach, Afghanistan so schnell wie möglich in ein „sozialistisches“ Land des Ostblocks zu verwandeln. Schon nach 17 Monaten, im September 1979, zwang Hafizullah Amin Muhammad Taraki zum Rücktritt von seinen Ämtern und Amin übernahm diese selbst. Einen Monat später meldete die „Kabul Times“ Taraki sei an einer schweren Krankheit verstorben.

Der russische Einmarsch und die Folgen
Die Sowjetunion reagierte zunächst nicht auf den Regierungswechsel in Kabul. Da jedoch Amin den immer mehr um sich greifenden Bürgerkrieg nicht einzudämmen vermochte, fürchtete die russische Regierung, er könne sich um Hilfe an die USA wenden und es käme letztlich zur Stationierung von US-Streitkräften an ihrer Grenze. Auch die Gefahr eines Übergreifens der Re-Islamisierung auf die südasiatischen Sowjetrepubliken (Usbekistan, Tadschikistan etc.), begünstigt durch die rasche Ausbreitung des gewaltsamen islamischen Widerstandes in Afghanistan, veranlasste die Kremlführung zum Handeln. Truppen des russischen Geheimdienstes (KGB) wurden in der Sowjetbotschaft in Kabul stationiert. Sie sollten die Lage sondieren, wenn möglich, den „unzuverlässigen“ Amin heimlich liquidieren und für alle Fälle einen Einmarsch der russischen Armee vorbereiten.
Am 24. Dezember 1979 begann der Einmarsch russischer Luftlandetruppen. Damit fand eine Entspannungs- und Abrüstungsphase ein jehes Ende. Der Kalte Krieg erreichte erneut einen Höhepunkt und der Rüstungswettlauf wurde energisch wieder aufgenommen. Spätestens durch die Intervention wurde aus dem afghanischen Bürgerkrieg ein Krieg der Blöcke, in dem imperiale Interessen von Ost und West den Kampf um notwendige  nationale Reformen im Land instrumentalisierte.
Moskau strebte die Stabilisierung des Regierungsapparates und der Armee an, aber ohne Amin an der Regierungsspitze.  Russische Spezialtruppen stürmten den Präsidentenpalast. Bei diesem Feuergefecht starb Hafizullah Amin. Die Sowjets setzten den Juristen, ehemaligen Studentenführer und Repräsentant des gemäßigten Flügels der DVPA Babrak Karmal als neuen Präsidenten ein. Er war damit in 20 Monaten der dritte Präsident der Demokratischen Volksrepublik Afghanistan. Als er dann offiziell Moskau um die Entsendung von Truppen „bat“, befanden sich bereits mehr als 15.000 russische Soldaten im Land.
Während Karmals Amtszeit formierte sich angesichts von rund 110.000 Besatzern landesweit entgültig der islamisch-nationale Krieg gegen das Regime.

Der bewaffnete Widerstand gegen die russischen Besatzer
Obwohl der Islam alle Gruppierungen der Muhadscheddin verband, kam es zu keiner einheitlichen Widerstandsfront. Verschiedenste politische, religiöse und ethnische Interessen und Einflüsse in- und ausländischer Mächte und islamischer Glaubensrichtungen sorgten für eine Aufsplitterung der Widerstandskräfte.
Das stolze Volk der Afghanen hatte die sowjetischen Entwicklungshelfer und Spezialisten als Freunde begrüßt, jetzt jedoch waren sie zu Besatzern und damit zu Feinden geworden. Trotz der militärischen Überlegenheit waren die Sowjets und die Kabuler Regierung nicht in der Lage, den Krieg für sich zu entscheiden, „da ihnen dazu eine der wichtigsten Voraussetzungen fehlte: die Unterstützung der Bevölkerung. Im Kontext von Guerillakriegen ist dieser Faktor in der Regel weit bedeutsamer als technische Überlegenheit oder stärkere Feuerkraft.“(J. Hippler, Afghanistan: Von der „Volksdemokratie“ zur Herrschaft der Taliban).
Die ausländischen Mächte, wie Pakistan, der islamistische Iran unter Khomeni und selbst die USA, förderten finanziell, mit Waffen und Militärausbildern besonders die islamistische Opposition im Vielvölkerstaat. Denken wir nur daran, dass einige wichtige Repräsentanten des Terrornetzwerkes Al Qaida, darunter Osama bin Laden, von den USA ausgebildet und als islamistische Internationalisten in Afghanistan gegen die russischen Besatzer eingesetzt wurden. Dieser „äußere“ Widerstand verdrängte immer mehr den „inneren“ Widerstand des städtischen Mittelstandes, der dörflich-ethnisch geprägten Stammeskulturen und der religiös sunnitisch oder schiitisch ausgerichteten Gruppierungen.
Das pakistanische Grenzgebiet (auch Paschtunistan genannt) mit der Provinzhauptstadt Peshawar bildete das Zentrum der afghanischen Flüchtlinge und ihrer politischen Führung. 1985 schlossen sich dort islamisch-fundamentalistische Gruppen mit Traditionalisten (Monarchisten) zu einem losen Widerstandsbündnis zusammen. Eines ihrer Hauptziele war die Umwandlung Afghanistans in eine islamische Republik. In diesem Bündnis fehlten allerdings die schiitischen Parteien, besonders der Hazara. Jahrhunderte lang war diese Volksgruppe von den sunnitisch gläubigen Paschtunen unterdrückt worden. Und so  orientierte sich auch ihr Widerstand am Iran als schiitischer Schutzmacht.
Durch die vor allem finanzielle und strategische Hilfe der USA, Pakistans, Irans und Saudi-Arabiens gelang es den Widerstandsgruppen immer erfolgreicher gegen das Kabuler Regime und die Besatzungsmacht vorzugehen, gleichzeitig verhinderte diese „Einmischung“ aber die Herausbildung eines unabhängigen nationalen Widerstandes (siehe: C. Fröhlich, Krisenherd Afghanistan, Freiburger Beiträge zu Entwicklung und Politik, Nr.33,2005). Von diesen massiven finanziellen ausländischen Hilfen sollen bis zu 70% in dunklen Kanälen versickert sein, ohne die Kämpfer vor Ort zu erreichen. Denn neben nationalen und religiösen Gründen für den Widerstand, traten gerade bei der Führungsschicht Motive der persönlichen Vorteilsnahme, Gewinnsucht durch Drogenhandel und Geschäfte mit Waffen und Verpflegung hinzu. Korruption, Kriegsgewinnlertum und Söldnermentalität prägten ebenso die Mudschaheddin-Gruppen wie islamischer Fundamentalismus.

 

Gorbatschow drängt auf nationale Versöhnung
Durch den Amtsantritt MichailGorbatschows am 11. März 1985 als Generalsekretär der KPdSU veränderte sich rasch nicht nur die Sowjetunion, sondern auch die russische Politik und ihr Militärkonzept für Afghanistan. Im Rahmen einer neuen sowjetischen Außenpolitik, die friedliche Koexistenz und Abrüstung in den Mittelpunkt stellte, wurde die Besetzung Afghanistans auf die Dauer unhaltbar. Ein erster Schritt in der neuen Afghanistan-Politik des Kreml war die Auswechselung der Führungspitze in Kabul. Babrak Karmal, der zu Zeiten des kommunistischen Staatsstreiches 1978 schon politische Verantwortung getragen hatte und daher einer nationalen Versöhnungspolitik im Wege war, wurde im Mai 1986 durch den Mediziner Mohammed Nadschibullah ersetzt, der umgehend eine Kampagne zur nationalen Aussöhnung verkündete.
Zwischen Pakistan und der Kabuler Regierung wurden auf Betreiben der Vereinten Nationen in Genf Gespräche geführt, die zwar die nationalen Widerstandsgruppen nicht in die Verhandlungen einbezogen, doch die beiden Supermächte mit einband. So kam es im April 1988 zu vertraglichen Regelungen über die Flüchtlingsfrage, den sowjetischen Abzug und die ausländischen Waffenlieferungen. Trotz des im Abkommen festgelegten Nichteinmischungsgebots erklärte der pakistanische Diktator Zia Ul-Haq, dass er den islamischen Widerstand des afghanischen Volkes weiter unterstützen werde. Ebenfalls verlautbarte Washington, dass die Gegenzeichnung des Genfer Abkommens als Garantiemacht nicht die Anerkennung des kommunistischen Regimes in Kabul einschlösse. Gorbatschow hielt sich jedoch an die Vereinbarung und zog in den festgelegten neun Monaten seine Truppen 1988/89 aus Afghanistan zurück.

Der Kampf um die islamische Republik
Da sich der islamistische Widerstand und seine ausländischen Unterstützer nicht an das Genfer Abkommen hielten, gelangte die Regierung Nadschibullahs nach dem Abzug der Sowjets bald in arge Bedrängnis. Doch kam es nicht, wie allgemein erwartet, zum sofortigen Zusammenbruch, sondern erst einmal sogar zu einer Stärkung der Zentralregierung. Die Großoffensive der Muhadscheddin, die „Entscheidungsschlacht“ um die Provinzhauptstadt Jalalabad (in Grenznähe zu Pakistan) endete mit einer schweren Niederlage und dem entsprechenden Prestigeverlust der Islamisten. Lokale Widerstandsgruppen schlossen mit der Kabuler Regierung Waffenstillstandsabkommen ab.
Die Vereinten Nationen schlugen im Rahmen ihrer Friedenskonzeption die Bildung einer Übergangsregierung zur Vorbereitung von Wahlen vor. Präsident Nadschibullah versprach, sich dem UN-Konzept zu beugen. Dies jedoch schwächte seine innerparteiliche Position und seine eigenen Armeeführer und Minister begannen, mit dem islamistischen Widerstand über ihre Rolle in einer solchen Übergangsregierung zu „schachern“, denn die Zentralregierung war ihnen gegenüber zahlungsunfähig geworden.
Im April 1992 wurde Nadschibullah aller seiner Ämter enthoben und seine Regierung, Verwaltung und Armee lösten sich auf. Die Mudschaheddin zogen kampflos in Kabul ein und riefen die islamische Republik aus.

Der Aufstieg der Taliban
Das gemeinsame Ziel des islamischen Widerstandes, die Beseitigung der „kommunistischen Fremdherrschaft“, war spätestens 1992 mit der Auflösung der DVPA-Regierung erreicht. Diese Gemeinsamkeit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, „dass sich die einzelnen Gruppen untereinander in permanenten Auseinandersetzungen befanden. Dieser interne Krieg unter den Mudschaheddin-Gruppen wurde um die Vorherrschaft im eigenen Lager, um Einfluss und materielle Vorteile geführt“(C.Fröhlich, Krisenherd Afghanistan, Freiburger Beiträge…).
Im Norden hatte der angesehene Widerstandsführer Ahmad Schah Massoud die einzelnen bewaffneten Gruppierungen geeint und zwischen den Ethnien Frieden im Bruderzwist gestiftet. Massouds Vision für ein befreites Afghanistan sah ein föderales, liberales Mehrparteiensystem für den Vielvölkerstaat vor. Doch ihm  fehlte die entscheidende ausländische Unterstützung. Sein einflussreicher Gegenspieler im Süden, GulbuddinHekmatjar, wurde vom pakistanischen und US-Geheindienst finanziert (insgesamt soll der islamische Widerstand ca.20 Milliarden Dollar erhalten haben). Hekmartjar war ein fanatischer Islamist, der für einen streng zentralistisch regierten Einparteienstaat eintrat. Sein Traum war ein islamisches Großreich von der Türkei bis an die chinesische Grenze.  Man sagt ihm nach, dass er als Student vom Motorrad aus unverschleierten Studentinnen  Säure ins Gesicht geschüttet habe. Dieser Mann spaltete entgültig den Widerstand. Aber die Macht in Kabul konnte er entgültig nie erlangen. Deshalb beschoss Heknatjar die Hauptstadt fast drei Jahre lang mit Raketen und tötete dabei Tausende Zivilisten.
In Kabul versuchten wechselnde Übergangsregierungen unter dem Präsidenten Burhanuddin Rabhani vergeblich, den Bürgerkrieg im Land zu befrieden. Denn als die Mudschaheddin in Kabul die Macht übernahmen, „führte dies weder zum Frieden, noch zu einer demokratischen oder die Menschenrechte achtenden Herrschaft. Es wurde nur eine neue Runde des Krieges eröffnet, die sich insbesondere für die Hauptstadt als verheerender erwies, als alles zuvor erlebte. Erst nach dem Sturz Präsident Nadschibullahs wurde Kabul weitgehend zerstört“(J. Hippler, Afghanistan: Von der „Volksdemikratie“bis zur Herrschaft der Taliban).
In der afghanischen Bevölkerung, die sich endlich nach dem Sieg der Widerstandsgruppen Frieden und Wiederaufbau versprochen hatte, wuchs die Unzufriedenheit mit der Herrschaft konkurrierender Mudschaheddinfraktionen. Mit Blick auf die größten sieben sich bekämpfenden Mudschaheddin-Parteien resümierte man auf den Märkten und im Basar: „Besser ein starker, zur Not auch schlechter Präsident als sieben, die ständig miteinander Krieg führen!“
Vor diesem Hintergrund betraten 1994 überraschend die Taliban die politische Bühne. Von ihrem ersten Auftreten an, war diese islamistische Miliz dank des pakistanischen Militärgeheimdienstes gut bewaffnet (der spätere pakistanische Präsident General Musharraf.gilt als ihr Schirmherr) Sie verfügten über schwere Waffen, Panzer und Flugzeuge. Auch die USA förderten etwa bis 1996 die Taliban als wichtige anti-schiitische, anti-iranische Kraft in der Region.
Im Bewusstsein der afghanischen Bevölkerung waren die Taliban eine Gruppierung, die für die Kriegsverbrechen, für die Korruption, die Geldgier und den andauernden Bürgerkrieg nicht verantwortlich waren. Sie redeten nicht nur vom Islam, sondern sie waren „islamische Studenten, Schüler“(Talib:arabisch Student, Schüler einer Koranschule), deren „Ideale“ hoch über dem Parteiengezänk standen und die als selbstlos galten. Daher genossen sie in der ersten Phase ihres Vormarsches, bei dem sie fast kampflos das halbe Land einnahmen, Respekt bei der kriegsmüden Bevölkerung. Auch die Hauptstadt wurde im September 1996 nicht erobert, sondern einfach in Besitz genommen. Das islamistische Bürgerkriegsheer des Hekmatjar schmolz beim Vormarsch der Taliban und löste sich mehr oder weniger auf. Nur die Nordallianz blieb als ernstzunehmender Gegner übrig. Die Taliban mussten im Norden des Landes zum ersten Mal ernsthaft Krieg führen, als sie auf die Stellungen des Tadschiken Massoud und des ständig die Bündnisse wechselnden usbekischen Warlords Raschid Dostum stießen. Nachdem die Taliban Dostums Hochburg Mazar-e-Scharif entgültig erobert hatten, floh Dostum in die Türkei. Erst nach dem Sturz der Taliban kerhrte er zurück und nimmt heute wieder unter Präsident Karsai eine einflussreiche Rolle ein. Massoud hingegen konnte seine nördliche Heimat, das Panjshirtal, das er schon gegen die russischen Besatzer siegreich verteidigt hatte,  gegen die Taliban-Übermacht halten. Am 9. September 2001 wurde er durch Selbstmordattentätter der Al RQaida ermordet.

Die Herrschaft der Taliban und die Intervention der USA
Seit 1997 kontrollierten die Taliban drei Viertel des Landes und konnten bis zum Ende ihrer Herrschaft 2001 ihren Machtbereich weiter ausbauen. Dieses islamische Emirat Afghanistan, wie die Taliban das Land nannten, wurde allerdings nur von Saudi- Arabien, Pakistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten diplomatisch anerkannt. Die Taliban machten tatsächlich ernst mit „dem Islam“, allerdings in seiner radikalsten und rückwärts gewandtesten Ausprägung. Hinter der religiösen Rechtfertigung dieses Systems zeigte sich das islamische Emirat der Taliban als eine terroristische Gewaltherrschaft. Der Schulbesuch und die Berufstätigkeit wurde für Frauen faktisch verboten, das Tragen der Burqa den Frauen aufgezwungen, als Rechtssystem die Scharia mit ihren brutalen Bestrafungsformen eingeführt und nichtislamische Kunstdenkmäler niedergerissen. Afghanistan wurde zum Unterschlupf islamistischer Terrorgruppen, darunter das Hauptquartier des Terrornetzwerkes Al Qaida. Wieder einmal wurde die afghanische Bevölkerung in ihrer Hoffnung auf Wohlstand und Gerechtigkeit für alle Ethnien und alle Glaubensrichtungen enttäuscht.
Nach den Anschlägen des 11. September in New York und Washington erklärte die US-Regierung den Kriegszustand. Die Anschläge, die viele Intellektuelle der sog, Entwicklungsländer trotz Abscheu und Ablehnung als eine Antwort auf Neokolonialismus und Imperialismus des Westens interpretierten, legitimierte der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 1368 ein militärisches Vorgehen der USA als einen Akt der Selbstverteidigung.

Die Operation Enduring Freedom
Am 7. Oktober 2001 griff die USA mit massiven Luftangriffen afghanische Städte an und setzte an der Seite der gegen die Taliban kämpfenden Nordallianz Bodentruppen ein. Die Bush-Administration behauptete, sie wolle das Terrornetz Al Qaida zerschlagen und den Anführer Osama bin Laden gefangen nehmen oder töten. Durch die Charakterisierung der Anschläge vom 11. September als Angriff auf die Vereinigten Staaten wurde die Bündnisverpflichtung der NATO im Verteidigungsfalle ausgelöst. Anfang des Jahres 2002 waren die Taliban und ihre Verbündeten unter  Hekmatjar bis auf das Grenzgebiet zu Pakistan aus Afghanistan vertrieben. Unter der Schirmherrschaft der UN bildete sich eine Übergangsregierung und internationale Truppen (ISAF) sollten die Sicherheit im Territorium herstellen und den Wiederaufbau unterstützen. 2004 erhielt Afghanistan eine neue Verfassung. Seither gab es Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Doch Afghanistan ist weder eine Demokratie noch ein sicheres, friedliches Land geworden, trotz einer größeren Zahl an Truppen im Land als zu Zeiten der russischen Besatzung.
„In den vergangenen dreißig Jahren wurde die Hälfte der Bevölkerung in Afghanistan vertrieben, ein Drittel floh ins Ausland. Mehr als eine Millionen Menschen wurden im Krieg getötet. Andere starben an Hunger oder Krankheit, weitere etwa eine Million Menschen wurden verwundet oder sind traumatisiert. Über 600 Quadratkilometer sind durch Landminen und Blindgänger verseucht. Nur zwei Drittel der Bevölkerung haben Zugang zu medizinischer Versorgung. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist mit 46 Jahren eine der niedrigsten der Welt“(zitiert nach einem Dosier des internationalen Roten Kreuz).
Aus der Perspektive der Afghanen schreibt der mit allen Mitteln geführte Kampf um die Macht den Zustand permanenter existenzieller Unsicherheit fort. Sie sind gezwungen, die gleichen Überlebensstrategien anzuwenden, die ihren Lebensalltag schon vor den Taliban prägten. Mangels Alternativen schließen sich viele für Geld einem Warlord oder Drogenbaron an. Diese haben inzwischen ihr altes Patrimonialsystem neu installiert, ein System, das den eigenen Anhängern und ihren Familien Schutz und allgemeine Versorgung garantiert. Wer diesen Weg nicht einschlägt, befindet sich im sozialen Aus.In ihrer Wahrnehmung ist der öffentliche Raum von westlichen Militärs, korrupten Politikern, Warlords und bewaffneten Banden beherrscht. Von letzteren soll es über 2.000 geben. Die Entwicklung seit dem Sturz der Talibanregierung ist für die meisten Afghanen wieder einmal eine Enttäuschung. Wie dramatisch die Situation in der Gegenwart ist, beschreibt die international anerkannte Menschenrechts- und Frauenorganisation RAWA: „Vor Jahren legitimierten die USA und ihre Verbündeten erfolgreich ihre militärische Invasion Afghanistans gegenüber der amerikanischen Bevölkerung und der Welt mit der „Befreiung der afghanischen Frauen“, „Demokratie“ und dem „Krieg gegen den Terror“. Die Afghanen, die von den Taliban gequält und unterdrückt wurden, erlebten eine kurze Zeit der Hoffnung. Aber schon bald mussten sie erkennen, dass ihr Traum von Sicherheit, Demokratie und Freiheit an der Realität zerbrach. Durch die Installierung des willfährigen Karsai-Regime wurden die Beziehungen und Abkommen mit den Mudschaheddin beziehungsweise Warlords erneuert. Die wichtigsten Ämter wurden an Kriminelle vergeben und sie verwandelten Afghanistan in einen Staat der Mafia. Selbstverstümmelungen von Frauen, Vergewaltigungen und Entführungen von Frauen und Kindern gehören heute wieder zur Tagesordnung.“

 

Ein Ausblick
Der Oberbefehlshaber der internationalen Truppen, der US-General McChrystal schildert treffend die Endlosigkeit des Krieges, wenn er feststellt, dass für jeden getöteten Aufständischen oder Zivilisten, zwanzig Männer ihrer Sippe oder ihres Clans die Waffen ergreifen und in den Krieg gegen die ausländischen Besatzer ziehen. „Nach mehr als acht zermürbenden Jahren am Hindukusch hat sich überall die Erkenntnis durchgesetzt, dass es in diesem Krieg keinen Sieger geben wird…“. (aus: Hintergrund, Deutschlandfunk, 26.02.2010, 18.40 Uhr)
Wofür kämpft die sogenannte internationale Gemeinschaft in Afghanistan? Für die „Freiheit“ und die „Werte“ der westlichen Welt? Für einen Staat, in dem es keine Scharia gibt mit „Steinigungen oder öffentlichen Auspeitschungen, sondern Bildung für alle, besonders für Frauen?... Die Wirklichkeit, acht Jahre nachdem die Bundeswehr im Norden von Afghanistan stationiert wurde, sieht heute sehr viel anders aus. Präsident Karsai, einstmals gefeiert, fälscht heute Wahlen, die Taliban werden immer stärker, der Drogenhandel blüht…“(Christoph Birnbaum im Deutschlandfunk, Andruck 01.03.2010 19.15 Uhr)
Wenn es zu Gesprächen zwischen Karsais Regierung und Vertretern der Taliban kommt, was die westlichen Invasoren unterstützen (siehe Londoner Konferenz im Januar 2010), bleibt dem „internationalen Bündnis“ nichts anderes übrig, als auf die korrupten Provinzgouverneure, die Warlords zu setzen, um ein Machtgleichgewicht gegenüber sog. gemäßigten Taliban herzustellen und um sich ihren geopolitischen Einfluss zu erhalten.
Marc Thörner zitiert in seinem gerade erschienenen Buch „Afghanistan Code“ einen paschtunischen Nomaden: „Wieso helfen uns die internationalen Truppen nicht? Wieso haben sie alle Angst vor (den Warlords) Atta, Dostum, einer kleinen Clique, einer Handvoll Leuten?... Wenn wir als Paschtunen und Nomaden aufmucken, heißt es: Wir seien gefährliche Taliban!“
Angesichts der „fehlgeleiteten“ Angriffe der internationalen Truppen auf Zivilisten, der wachsenden Unterstützung der Bevölkerung für die Aufständischen, des Einflusses der „Drogenbarone“, dieser macht- und geldgierigen Gebietsgouverneure und der Mitglieder der Karsai-Regierung fällt Marc Thörners Resümee deprimierend aus: „…Was passiert, wenn sich der Westen wieder zurückzieht? Fällt das Land zurück in die alten Strukturen?...Nein, die vermeintliche afghanische Krankheit wäre dann in Wirklichkeit uralt und universal: die simple Gier nach Macht und Geld, die mit Gewalt durchgesetzt und mit ideologisch – religiöser Propaganda ummantelt und gerechtfertigt wird. Deshalb ist es für einen Mann wie Provinzgouverneur Atta, der seine Audienzen in einem vergoldeten Louis-XVI-Sessel abhält, so wichtig, dass die Taliban weiterhin Attentate im Land verüben: Sie sichern sein politisches Überleben als „Warlord“ und als Garant einer vorgeblichen Sicherheit. Am Ende“, so Thörners Fazit, „könnte es deshalb sein, dass die Deutschen in Afghanistan auch noch die Polizisten für die Unterdrückerschwadronen geld- und machtgieriger Provinzgouverneure ausbilden.“
In Afghanistan sind mindestens 200 Jahre lang von wechselnden Großmächten die Konflikte zwischen rivalisierenden Stammesfürsten für ihre geopolitischen Interessen instrumentalisiert worden, so auch heute. Trotz aller Doppelzüngigkeit der politischen Klasse des Westens, geht es eben nicht um die Ausbreitung der westlichen Demokratie und Freiheit, sondern um Einflusssphären, um Vorherrschaft über die natürlichen Ressourcen Asiens und um strategische Aufmarschgebiete gegen die von der Rüstungslobby propagierten vermeintlichen Feinde der „freien Welt“.


Klaus Körner