Mai 2002

Der Buchtip:

Ernst Toller, Eine Jugend in Deutschland

 

Eine Jugend in Deutschland“ gehört zu den beeindruckendsten Büchern, die ich jemals gelesen habe. Deshalb möchte ich das Buch vorstellen und Euch vor allem motivieren, es selbst zu lesen.

Das Buch ist eine Autobiographie, die Ernst Toller 1933 schrieb. Als deutscher Jude wurde er 1893 im heutigen Polen geboren. Als 1914 der 1.Weltkrieg ausbricht, marschiert der Journalist und Schriftsteller wie fast alle seiner Zeitgenossen in ganz Europa begeistert in den Krieg. Dort, mit der Realität des Krieges konfrontiert, wird er zum Pazifist und Sozialist. 1918/19 spielte Ernst Toller eine herausragende Rolle in der Novemberrevolution und der Münchner Räterepublik. Als rechtsradikale Freikorps und Söldnerheere die sozialistische Münchner Räterepublik angreifen, nimmt er wieder die Waffe in die Hand. Jetzt weiß er wofür. Als die Revolution schließlich besiegt ist, wird er mehrere Jahre im Gefängnis eingekerkert. Damit endet das Buch.

Neben dieser spannenden, bewegten Jugend in Deutschland, ist es auch die Art wie das Buch geschrieben ist, die es so wertvoll macht. Es ist unglaublich emotional und gefühlvoll geschrieben. In dem einen Moment muss man weinen, in dem nächsten herzhaft lachen. Also, besorgt Euch das Buch und lest es!

Zum Schluss noch ein paar Textzeilen, die ich besonders wertvoll fand und das Weltbild Tollers verdeutlichen:

„In meinem Innersten spüre ich eine Ruhe, die ist und mir Freiheit gibt. Ich weiß, dass ich in größter Unruhe leben, dass ich gegen Schmutz oder unbeschränkten Unverstand hitzig und erregt ankämpfen kann und mir diese innerste Ruhe doch bleibt.“

„Ich fasse das Leid nicht, das der Mensch dem Menschen zufügt. Sind die Menschen von Natur so grausam, sind die nicht fähig, sich hineinzufühlen in die Vielfalt de Qualen, die stündlich, täglich Menschen erdulden? Ich glaube nicht na die <böse> Natur des Menschen, ich glaube, dass er das Schrecklichste tut aus Mangel an Phantasie, aus Trägheit des Herzens. Habe ich nicht selbst, wenn ich von Hungersnöten in China, von Massakern in Armenien, von gefolterten Gefangenen auf dem Balkan las, die Zeitung aus den Händen gelegt und, ohne innezuhalten, mein gewohntes Tagewerk fortgesetzt? Zehntausend Verhungerte, tausend Erschossene, was bedeuten mir diese Zahlen, ich las sie und hatte sie eine Stunde später vergessen. Aus Mangel an Phantasie. Wie oft habe ich Hilfesuchenden nicht geholfen. Aus Trägheit meines Herzens.

Würden Täter und Tatlose sinnlich begreifen, was sie tun und was sie unterlassen, der Mensch wäre nicht des Menschen ärgster Feind. Die wichtigste Aufgabe künftiger Schulen ist, die menschliche Phantasie des Kindes, sein Einfühlungsvermögen zu entwickeln, die Trägheit seines Herzens zu bekämpfen und zu überwinden.“

„ … und wenn mich einer fragte, wohin ich gehöre, ich würde antworten: eine jüdische Mutter hat mich geboren, Deutschland hat mich genährt, Europa mich gebildet, meine Heimat ist die Erde, die Welt mein Vaterland.“

„Auch der Sozialismus wird nur jenes Leid lösen, das herrührt aus der Unzulänglichkeit sozialer Systeme, immer bleibt ein Rest. Aber soziales Leid ist sinnlos, nicht notwendig, ist tilgbar.“

 

sk