Das
Theater vom Guten und vom Bösen
Der
Autor des Textes, der Journalist, Romancier und Essayist Eduardo Galeano,
geboren 1940 in Montevideo (Urugay), wurde durch seinen Dokumentationsband „die
offenen Adern Lateinamerikas“ in Europa bekannt. Er ist einer der genauesten
Beobachter der Zeitgeschichte unter den Schriftstellern Lateinamerikas.
Im Kampf des Guten gegen das
Böse ist immer die einfache Bevölkerung, die die Toten stellt. Die Terroristen
haben in New York und in Washington Arbeiter aus 50 Ländern umgebracht, im
Namen des Guten gegen das Böse. Und im Namen des Guten gegen das Böse, schwört
Präsident Bush Rache: „Wir werden das Böse aus dieser Welt auslöschen“, kündigt
er an.
Das Böse auslöschen? Was
wäre das Gute ohne das Böse? Nicht nur die religiösen Fanatiker benötigen
Feinde, um ihren Wahnsinn zu rechtfertigen. Um ihre Existenz zu rechtfertigen,
benötigen auch die Rüstungsindustrie und der gigantische Militärapparat der USA
Feinde. Gute und Böse, Böse und Gute: die Akteure vertauschen die Masken, die
Helden werden zu Monstern und die Monster zu Helden, ganz wie es diejenigen
fordern, die das Drama schreiben.
Das hat nichts Neues an
sich. Der deutsche Wissenschaftler Werner von Braun war böse, als er die
V-2-Rekaten erfand, die Hitler über London ablud, doch er wandelte sich zum
Guten an dem Tag, an dem er sein Talent in die Dienste der Vereinigten Staaten
stellte. Stalin war gut während des 2.Weltkrieges und böse danach, als er das
Reich des Bösen dirigierte. In den Jahren des Kalten Krieges schrieb John
Steinbeck: „Vielleicht braucht die ganze Welt Russen. Ich wette, auch in
Rußland brauchen sie Russen. Vielleicht nennen sie sie dort Amerikaner.“ Später
wurden die Russen besser. Jetzt sagt auch Putin: „Das Böse muß bestraft
werden.“ Saddam Hussein war gut, und gut waren die Chemiewaffen, die er gegen
die Iraner und die Kurden einsetzte. Später wurde er böser. Da hieß er bereits
Satan Hussein, als die Vereinigten Staaten, die gerade in Panama eingedrungen
waren, auch in den Irak einmarschierten, weil der Irak Kuwait überfallen hatte.
Bush Senior trug für diesen Krieg gegen das Böse die Verantwortung. Mit dem
humanitären und mitleidenden Geist, der seine Familie charakterisiert, bracht
er mehr als 100.000 Iraker um, in ihrer großen Mehrheit Zivilisten.
Satan Hussein ist immer noch
dort, wo er war, aber dieser Feind Nummer eins der Menschheit ist in die
Kategorie des Feindes Nummer zwei zurückgefallen. Die Geißel der Welt heißt nun
Osama Bin Laden. Die CIA hatte ihm alles beigebracht, was er in Sachen
Terrorismus wußte: Bin Laden, geliebt und bewaffnet von der Regierung der USA,
war einer der wichtigsten „Freiheitskämpfer“ gegen den Kommunismus in
Afghanistan. Bush Senior war Vizepräsident, als Präsident Reagan sagte, diese
Helden seien „das moralische Äquivalent der Gründerväter Amerikas“. (...) Die
afghanischen, muslimischen Fundamentalisten waren die Guten. Jetzt, 13 Jahre
später, in Zeiten von Sohn Bush, sind sie die bösesten Bösen. Henry Kissinger
war einer der ersten, die auf die jüngste Tragödie reagierten. „Genauso
schuldig wie die Terroristen sind diejenigen, die sie unterstützen, finanzieren
und inspirieren“, urteilte er mit Worten, die Präsident Bush wenige Stunden
danach wiederholte. Wenn das so ist, müßte man damit anfangen, Kissinger zu
bombardieren. Er würde sich vieler Verbrechen mehr als schuldig erweisen als
der, die von Bin Laden und von allen in dieser Welt existierenden Terroristen
begangen wurden. Und in viel mehr Ländern: Im Dienste mehrerer US-Regierungen
stehend, leistete er „Unterstützung, Finanzierung und Inspiration“ – für den
Staatsterror in Indonesien, Kambodscha, Zypern, Südafrika, Iran, Bangladesch
und in den südamerikanischen Ländern, die den schmutzigen Krieg des Plan Condor
durchmachten. Am 11. September 1973, genau 28 Jahre vor den jetzigen
Feuerbällen, hatte der Präsidentenpalast in Chile in Flammen gestanden.
Kissinger war es, der die Grabschrift für Salvador Allende und die chilenische
Demokratie vorweggenommen hatte, als er das Ergebnis der Wahlen kommentierte:
„Wir müssen nicht akzeptieren, das ein Land wegen der Unverantwortlichkeit
seiner Bevölkerung marxistisch wird.“ Die Verachtung des Volkswillens ist eine
der zahlreichen Übereinstimmungen zwischen dem Staatsterrorismus und dem
Privatterrorismus. (...) Der handwerkliche und der hochtechnisierte
Terrorismus, jener der religiösen Fundamentalisten und jener
Marktfundamentalisten, jener der Verzweifelten und jener der Mächtigen, jener
der losgelassenen Irren und jener der Profis in Uniform ähneln sich in vielem.
Alle teilen dieselbe Verachtung für das menschliche Leben: Die Mörder der 6.000
zermalmten Bürger unter den Trümmern der Zwillingstürme, die wie Sandburgen
einstürzten, und die Mörder der 200.000 Guatemalteken, in ihrer Mehrheit
Indígenas, die ausgelöscht wurden, ohne daß ihnen jemals das Fernsehen oder die
Zeitungen der Welt geringste Aufmerksamkeit geschenkt hätten. Sie, die
Guatemalteken, wurden nicht von irgend einem fanatischen Muslim geopfert,
sondern von terroristischen Militärs, die „Unterstützung, Finanzierung und
Inspiration“ von den aufeinanderfolgenden US-Regierungen erhielten.
Alle in den Tod verliebten
stimmen ebenfalls in ihrer Besessenheit überein, die sozialen, kulturellen und
nationalen Widersprüche auf militärische Begriffe zu reduzieren. Im Namen des
Guten gegen das Böse, im Namen der einzigen Wahrheit, lösen sie alle alles, in
dem sie zuerst umbringen und anschließend fragen. Und auf diesem Weg enden sie damit,
den Feind zu nähren, den sie bekämpfen. (...) Es waren die Greueltaten der USA
im mittleren Osten, die im großen Maße den heiligen Krieg ausbrüteten.
Auch wenn jetzt der Führer
der Zivilisation zu einem neuen Kreuzzug aufruft, Allah ist für die Verbrechen,
die in seinem Namen begangen werden, nicht schuldig. Schließlich hat Gott nicht
den Holocaust der Nazis gegen die Anhänger Jehovas befohlen, und es war nicht
Jehova, der das Massaker in Sabra und Chatila anordnete oder vorschrieb, die
Palästinenser von ihrem Land zu vertreiben. (...)
Die Terrorismen zwingen uns,
von einer Rache zur anderen zu stolpern. Ich sehe ein kürzlich veröffentlichtes
Foto vor mir: auf einer Wand in New York hatte eine Hand geschrieben: „Auge um
Auge macht die Welt blind.“
Die Gewaltspirale bringt
Gewalt und auch Konfusion hervor: Schmerz, Angst, Intoleranz, Haß, Wahnsinn.
(...) Und die Wahnsinnigen, wahnsinnig vor Haß, agieren genauso wie die Macht,
die sie hervorbringt. Ein dreijähriges Kind, mit dem Namen Luca, kommentierte
in diesen Tagen. „Die Welt weiß nicht, wo ihr Haus ist.“ Der Kleine schaute auf
eine Landkarte. Er hätte auch eine Nachrichtensendung sehen können.
Gekürzt aus: Lateinamerika
Nachrichten Nr. 329 (November 2001)