Argentinien und der IWF
Argentinien hat abgewirtschaftet. Das Land ist
politisch und wirtschaftlich am Ende und nur noch für Negativrekorde gut. Fünf
Präsidenten in zwei Wochen, fast jeder Fünfte ist offiziell arbeitslos und gut
jeder Dritte der 37 Millionen Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Eine
desaströse Bilanz, die einer beispiellosen Zusammenarbeit einer kleptomanischen
politischen Elite mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) geschuldet ist.
Bereitwilliger und früher als andere Staaten
liberalisierte Argentinien unter Präsident Carlos Menem zu Beginn der neunziger
Jahre den Kapitalverkehr und den Bankensektor, privatisierte Staatsbetriebe und
setzte die Stabilität der Währung eisern durch – begleitet vom Beifall der
internationalen Wirtschaftskreise um die Wall Street und des IWF, der
Argentinien als Musterschüler pries.
Kein Wort der Kritik an Korruption und Klientelismus, der in der
Menem-Ära schwindelerregende Dimensionen erreichte. Insgesamt werden die
Privatisierungsverluste durch Unter-Wert-Verkauf staatlicher Unternehmen auf 60
Milliarden Dollar geschätzt. Die Verluste der Argentinier waren die Gewinne der
internationalen Investoren. Die auf 10 Milliarden taxierte Telefongesellschaft
ging für die Hälfte über den Tisch. Selbst der sozialer Gesinnung reichlich
unverdächtige Neoliberale Guru Milton Friedman bezeichnete die Privatisierung
als "einen Betrug an den Argentiniern".
Noch 1999 als Brasilien um eine Abwertung seines
überbewerteten Real nicht mehr herumkam, wurde die regide
stabilitätsorientierte Währungspolitik Argentiniens vom IWF als vorbildlich
gelobt. Zu einem Zeitpunkt, als der Pampastaat schon in die Rezession
abgeglitten war und die Auslandsverschuldung bereits Ausmaße angenommen hatte,
war die Frage der Zahlungsunfähigkeit nur noch zu einer Frage nach dem
Zeitpunkt geworden. Denn das Tafelsilber war schon Mitte der neunziger Jahre
verschleudert und die Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite wurden fortan mit
immer neuen Dollarkrediten aus dem Ausland ausgeglichen. Argentinische
Staatsanleihen waren ein todsicheres Geschäft. Sicher für die Gläubiger und
tödlich für Argentinien. Die Gläubiger erhielten hohe Zinsen ohne Verlustrisiko
durch Währungsabwertung, denn der Wert des Peso war ja per Gesetz fest an den
Dollar gebunden. Und wenn das Land mal wirklich klamm war, konnten sich die
Gläubiger sicher sein, dass der IWF Argentinien und damit ihnen aus der Klemme
helfen würde. Erst im Dezember zog der IWF dann die Notbremse. In der
Überzeugung, dass von Argentiniens Krise keine Ansteckungsgefahr ausginge,
verweigerte der IWF mit dem Verweis auf nicht eingehaltene Haushaltsdefizitobergrenzen
die Auszahlung einer Kredittranche. Argentinien war zahlungsunfähig und mit
seinem Latein am Ende.
Wenn Einsicht der erste Schritt auf dem Weg der
Besserung ist, dann besteht für das Land ein wenig Hoffnung. Zumindest wenn man
den jüngsten Aussagen Glauben schenkt. "Wir teilen das Versagen mit der gesamten
internationalen Gemeinschaft", gestand der deutsche IWF-Präsident Horst
Köhler jüngst ein, nachdem nach Ausbruch der akuten Krise der IWF jegliche
Verantwortung für den Fall Argentinien von sich wies. Drastischer brachte es
der neue Präsident Duhalde auf den Punkt: "Die politische Elite
Argentiniens ist ein Scheiß und ich zähle mich dazu". Ob ihm diese
populäre Einschätzung genügend Popularität verschaffen wird, ist fraglich. Mit
Lebensmittelverteilungen mag Duhalde Bedürftige besänftigen.
Doch um Argentinien aus der Krise zu führen bedarf es
weit mehr. Ohne großzügiges internationales Entgegenkommen in Sachen Auslandsverschuldung
und ohne einen grundlegenden Wandel in der Selbstbedienungsmentalität der
politischen Klasse wird in Argentinien buchstäblich nichts mehr gehen. Dem Land
droht der alltägliche Ausnahmezustand von unten. Duhalde und Köhler stehen im
Wort – die argentinische Bevölkerung wird sie lautstark daran erinnern.
(aus Lateinamerika Nachrichten 332, Februar 2002,
S.3)